Besonderheiten zur Prozessführungsbefugnis im Haftpflichtprozess

– Dürfen Rechtsanwälte haftpflichtversicherte Mandanten vertreten? –

 I. Einleitung

Grundsätzlich besteht im Versicherungsrecht gemäß § 127 Abs. 1 VVG freie Anwaltswahl. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer frei wählen kann, welchen Rechtsanwalt er zur Wahrnehmung seiner Interessen bestellen möchte.

Im Haftpflichtprozess ist das allerdings anders. Denn dort hat der Versicherer gemäß § 5 Ziff. 2 und § 25 Ziff. 5 AHB (Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung) die Prozessführungsbefugnis. Folglich wird auch vom Versicherer – und nicht vom Versicherungsnehmer – ein Rechtsanwalt bestellt, denn der Versicherer führt den Haftpflichtprozess auf seine Kosten im Namen des Versicherungsnehmers.[1] Hiermit korrespondiert die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, dem Versicherer die Prozessführung zu überlassen und dem bestellten Rechtsanwalt eine Vollmacht zu erteilen sowie ihn über alle wesentlichen Tatsachen aufzuklären.[2]

II. Darstellung des Problems

Problematisch ist daher, wie es sich auswirkt, sollte der in einer Haftpflichtversicherung versicherte Versicherungsnehmer trotzdem auf eigene Kosten einen Rechtsanwalt bestellen. Denn hierin könnte eine Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer zu sehen sein. Fraglich ist auch, welche Folgen die Beantragung von Prozesskostenhilfe für einen eigenen Anwalt hat.

1. Unzumutbarkeit

Einerseits ließe sich darauf abstellen, ob durch die Beauftragung die Prozessführung des Versicherers unterstützt oder verhindert werden soll.[3] Sollte die Bevollmächtigung des vom Versicherer auserwählten Rechtsanwalts etwa unzumutbar sein, so kann es dem Versicherungsnehmer nicht als Obliegenheitsverletzung angekreidet werden, wenn er einen Rechtsanwalt auf eigene Kosten beauftragt.[4] Allerdings sind nur wenige Fälle denkbar, in denen eine Beauftragung unzumutbar wäre.

2. Berechtigtes Interesse

Innerhalb eines anderen Lösungsansatzes wird darauf abgestellt, ob der Versicherungsnehmer ein berechtigtes Interesse für die Bestellung eines Rechtsanwalts auf eigene Kosten hat.[5] Ob ein berechtigtes Interesse besteht ist allerdings restriktiv zu bewerten.[6] Denn der Versicherungsnehmer hat dem Versicherer die Prozessführung überlassen, und weil der Versicherer auch für die finanziellen Folgen eintritt, überschneiden sich die Interessen von Versicherer und Versicherungsnehmer grundsätzlich.[7] Anders kann es sich verhalten, wenn sich der Versicherungsnehmer im Streit mit seiner Haftpflichtversicherung befindet und zu seiner rechtlichen Verteidigung gegenüber der Versicherung nun einen Rechtsanwalt auf eigene Kosten beauftragen muss.

3. Berechtigtes Interesse – Prozesskostenhilfe

Beantragt der Versicherungsnehmer für einen eigens beauftragten Anwalt Prozesskostenhilfe, so muss auch hier ein berechtigtes Interesse bestehen. Dieses Begehren könne jedoch gemäß § 114 S.1 ZPO als mutwillig zurückgewiesen werden, weil es dem wirtschaftlichen Interesse einer verständigen Partei zuwiderlaufen würde, kostenpflichtig einen weiteren Anwalt zu beauftragen, wenn doch bereits vom Versicherer, der die gleichen Interessen hat wie der Versicherungsnehmer, ein Anwalt beauftragt worden ist.[8]

4. Bedeutsamkeit der Rechtsverteidigung

Nach anderer Ansicht ist darauf abzustellen, ob die Rechtsverteidigung so bedeutsam ist, dass dem Versicherungsnehmer eine individuell angepasste anwaltliche Beratung nicht verwehrt bleiben darf – dies kann insbesondere bei Strafverfahren der Fall sein.[9] In solchen Fällen handele es sich nicht um Mutwilligkeit gemäß § 114 S. 1 ZPO.[10] Dafür spricht auch, dass die Interessen von Versicherer und Versicherungsnehmer nur auf den ersten Blick identisch sind: Denn während es dem Versicherer lediglich darum geht, dass die Klage irgendwie abgewiesen wird, geht es dem Versicherungsnehmer primär darum, dass die Klage an dem konkreten Einwand der fehlenden Kausalität scheitert.[11]

Allerdings ist das Rechtsschutzversprechen des Versicherers an den Versicherungsnehmer sehr weitreichend, so dass er die Interessen des Versicherten in gleicher Weise wahren muss, wie es ein von ihm beauftragter Anwalt tun würde – auch wenn eine Interessenkollision besteht.[12]

5. Freie Anwaltswahl

Schließlich wird auch der Einwand vorgebracht, dass eine derartige Regelung, so wie sie im Haftpflichtprozess besteht, die freie Anwaltswahl gefährden könnte.

Und dieser Einwand scheint nicht ganz unberechtigt: Denn wenn es auch Regelungen gibt, nach denen ein Rechtsanwalt unter bestimmten Voraussetzungen auf eigene Kosten vom Versicherungsnehmer beauftragt werden kann, so ist dies erstens nicht der Regelfall und zweitens noch stark umstritten. Zwar mag eine eigene Beauftragung nicht immer zwingend erforderlich sein, es scheint allerdings auch nicht ersichtlich, weshalb sie grundsätzlich nur in Ausnahmefällen möglich sein soll. Insbesondere lange Vertrauensverhältnisse zum „Hausanwalt“ oder ähnliche Umstände könnten fast immer prozessfördernd ausgelegt werden.

Aber der Versicherer zahlt im Zweifelsfall – und hat somit die freie Wahl. Trotzdem erscheint diese Lösung, wenn sie auch einer Logik folgt, nicht einwandfrei –  dies zeigt sich doch grade in der Tatsache, dass die gesamte Materie noch so stark umstritten ist.

III. Rechtsprechung

So entschied das LG Göttingen am 03.06.1986[13], dass die Kosten eines weiteren vom Versicherungsnehmer zusätzlich beauftragten Rechtsanwalts nicht zu erstatten sind. Eine Ausnahme könne nur bei Vorliegen eines Interessenwiderstreits gemacht werden oder wenn der Versicherer untätig bleibt. Dies wurde zunächst vom OLG München mit Entscheidung vom 30.11.1994 und dann am 20.01.2004 auch vom BGH bestätigt.[14] 2008 entschied das KG Berlin einen solchen Fall mit Verweis auf die vorgegangene BGH Entscheidung gleichermaßen.[15] Es kommt in der Rechtsprechung heute folglich stets darauf an, ob ein „sachlicher Grund“ für die Einschaltung eines eigenen Anwalts besteht.[16] Während früher teilweise auch von der Rechtsprechung noch auf den Zeitpunkt der Beauftragung abgestellt wurde und ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nur dann anzunehmen war, wenn der Versicherungsnehmer trotz Kenntnis über die Beauftragung eines Anwalts durch die Versicherung einen eigenen Anwalt beauftragt, gilt diese Auffassung inzwischen als überholt.[17] Es ist richtigerweise unabhängig vom Zeitpunkt der Beauftragung nur auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes abzustellen.[18]

IV. Ergebnis

Rechtsanwälte müssen also genau hinschauen und für jeden Einzelfall neu entscheiden, ob eine anwaltliche Vertretung eines haftpflichtversicherten Mandanten sinnvoll ist oder nicht. Falls Sie betroffen sind und eine Beratung benötigen, so kontaktieren Sie die Kanzlei Dr. Martin Riemer gerne – hier werden Sie vertrauensvoll und mit viel Expertise zu diesem und anderen Problemen beraten.

[1] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,444 f.

[2] Geigel Haftpflichtprozess/Schneider, Kap. 13 Rn. 10

[3] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[4] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[5] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[6] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[7] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[8] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[9] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[10] BGH, Beschl. v. 15.09.2010 – IV ZR 107/09

[11] Armbrüster in: „Prozessuale Besonderheiten in der Haftpflichtversicherung“, r+s 2010, 441,445

[12] Geigel Haftpflichtprozess/Schneider, Kap. 13 Rn. 10

[13] LG Göttingen, Urteil vom 3. Juni 1986, 6 T 162/86

[14] OLG München, Beschluss vom 30. November 1994 11 W 2545/94; BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004 VI ZB 76/03

[15] KG Berlin, Beschluss vom 30. Mai 2008, 1 W 89/08

[16] BGH, Beschluss vom 20. Januar 2004 VI ZB 76/03

[17] vgl. OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 23. Juli 1990 6 W 39/90; auch: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 25. Februar 1988 2 W 8/88; auch: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 2. Oktober 1987 8 W 254/87

[18] KG Berlin, Beschluss vom 30. Mai 2008 1 W 89/08

Erstellt am 06.06.2024.

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Christina Donat

stud. iur.