Vorab: Ja, er darf.
Unfaire Verhandlungsführung
Die Generalstaatsanwaltschaft Köln hatte in einem sog. Selbstreinigungsverfahren gem. § 123 BRAO darüber zu entscheiden, ob es berufsrechtlichen Bedenken begegnet, wenn ein Rechtsanwalt nach einer konflikthaften Gerichtsverhandlung seinem Mandanten nach Abschluss des Rechtsstreits die Adresse des „häuslichen Arbeitszimmers“ des Richters übermittelt, mit der Anregung, diesem einen „höflichen Protestbrief“ zukommen zu lassen, worin er ihm ein „Feedback“ gibt, wie dieser Richter in der mündlichen Verhandlung gewirkt hat – und sich ggf. unmittelbar bei ihm über seinen Verhandlungsstil und das Auftreten dieses Richters in der mündlichen Verhandlung beschwert.
Richter arbeiten von zu Hause aus
Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. 1 GG, die im Deutschen Richtergesetz näher ausgestaltet wird, sind Richter außerhalb von Gerichtsverhandlungen nicht zur Präsenz im Justizgebäude verpflichtet, sondern können auch in ihrem „Homeoffice“ an Verfahrensakten arbeiten. Unmittelbaren Literaturzugriff auf juristische Datenbanken über das Internet haben sie auch von dort aus. Viele Richter machen hiervon Gebrauch, insbesondere viele Richterinnen, um sich nebenher der Kinderbetreuung zu widmen.
Beschwerderecht des Mandanten am „häuslichen Arbeitszimmer“ des Richters
Unstreitig hat jedermann als Ausfluss des Petitionsrechts (Art. 17 GG) und der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) das Recht, sich über staatliche Stellen zu beschweren und an sie zu wenden, wenn er sich von ihnen unfair oder ungerecht behandelt fühlt. Umstritten war die Frage, ob ein Rechtsanwalt befugt ist, dem Mandanten zu raten, derartige Schreiben nicht an die dienstliche Adresse des Richters im Justizgebäude, sondern auch an sein „häusliches Arbeitszimmer“ (sprich: Privatadresse) zu übersenden.
Die Rechtsanwaltskammer Köln war hierzu zuvor der Meinung, dieses Verhalten könne mit den Pflichten eines Rechtsanwalts als „Organ der Rechtspflege“ aus § 1 BRAO kollidieren. Die Generalstaatsanwaltschaft Köln, der dieser Vorgang zur Prüfung vorlag, hat das gegen den Rechtsanwalt geführte Ermittlungsverfahren jedoch gem. § 116 BRAO i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, wonach ein Verstoß gegen anwaltliche Berufspflichten (z.B. das Sachlichkeitsgebot aus § 43a BRAO) nicht zu erkennen war (Az. 10 EV 299/16; Bescheid vom 9.2.2017).
Wie die Privatadresse eines Richters auffinden?
Wer sich mit Beschwerden unmittelbar an einen Richter wenden möchte, damit diese nicht durch die Hände der Justizgeschäftsstelle gehen, findet einen ersten Anhaltspunkt zunächst im „Handbuch der Justiz“, herausgeben vom Deutschen Richterbund e.V. In diesem Verzeichnis, welches in nahezu jeder juristischen Bibliothek steht, sind die meisten Richter und Staatsanwälte mit Name, Vorname, Funktionsbezeichnung, Dienstelle, aber auch Geburtsdatum und Eintrittsdatum in den Justizdienst verzeichnet.
Richter sind zumeist in der Umgebung ihres Gerichtsortes sesshaft, da sie sich bereits in jungen Jahren aufgrund eines gesicherten Einkommens Immobilienkredite leisten können. Man findet sie daher anhand dreier personenbezogener Daten (z.B. Name, Vorname und Geburtsdatum) über eine einfache Melderegisterauskunft (§ 44 BMG) über ein Einwohnermeldeamt am Ort ihres Gerichts – oder in dessen unmittelbarer Umgebung. Wurde der Richter inzwischen an ein höheres Gericht befördert, kann es sein, dass er am Ort seiner vormaligen Gerichtsstelle bereits sesshaft wurde. In aller Regel sind keine Melderegistersperren zu Richtern oder Staatsanwälten verzeichnet, es sei denn, diese haben aufgrund besonderer Gefährdungslage eine solche Sperre beantragt und erhalten.
Welchen Vorteil bietet die unmittelbare Ansprache gegenüber dem Richter?
Sämtliche Post, die bei Gerichten und Staatsanwaltschaften eingeht, wird von Poststellen und Geschäftsstellen zunächst vorsortiert. Möchte ein Mandant dem Richter also persönlich eine Rückmeldung zukommen lassen, dient die unmittelbare Hinwendung an seine Privatadresse der Vereinfachung des Bürger-Staat-Dialoges. Außerdem können Richter auf konkrete Eingaben an ihre Privatadresse nach Abschluss eines Rechtsstreits sehr viel ungezwungener antworten, als bei einer über ihre Dienstsitze erfolgte Ansprache. Nach heute gewandeltem Selbstverständnis gerade vieler junger Richterinnen und Richter verhält sich ihr Abstand zur „Allgemeinbevölkerung“ nicht mehr so groß, wie noch in vormaligen Richtergeberationen. Soft Skills werden auch in das Trainingsprogramm vieler Richterakademien inzwischen integriert, sodass mit einem ausreichend hohem Maß an sozialer Kompetenz unserer Richter gerechnet werden darf, auf solche persönlichen Ansprachen einzugehen – und sich ggf. für Missverständnisse aus ihrer Verhandlungsleitung heraus bei Mandanten sogar zu entschuldigen.
Stand: 02.03.2017