Die Uniwagnis-Datei der Versicherungswirtschaft – Versäumnisse des Gesetzgebers bei der VVG-Überarbeitung

Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer, Brühl/Rheinl.

Das am 1. 1 2008 in Kraft getretene VVG bringt zweifelsohne erhebliche Verbesserungen für die Versicherten. Manch notwendige Arbeiten hat der Gesetzgeber, obgleich sie ihm bekannt waren, jedoch unerledigt liegen lassen. Hierzu zählt unter anderem eine Regelung, wie die Versicherungswirtschaft Daten über Antragsteller, Versicherungsnehmer und Dritte in EDV-Datenbanken erheben, verarbeiten, speichern und weitergeben darf, wie am Beispiel der so genannten Uniwagnis-Datei des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft nachfolgend erörtert wird.

1. Was ist Uniwagnis?

Das „Hinweis- und Informationssystem der Versicherungswirtschaft (HIS)” wird synonym auch als „Sonderwagnissystem”, „Wagnisauskunft” oder – kurz – „Uniwagnis” bezeichnet. Es handelt sich um eine EDV-Datenbank, die seit 1993 in Hamburg vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GdV) e.V. betrieben wird und in welche Mitgliedsunternehmen Daten über Antragsteller einmelden, deren Versicherungsanträge bearbeitet, angenommen, abgelehnt oder deren Policen später gekündigt wurden. Registriert werden können überdies jedoch auch Personen, die sich dem wie auch immer gearteten Verdacht des Versicherungsbetrugs oder der Teilnahme daran ausgesetzt sehen, ohne selber Versicherte zu sein (z.B. Zeugen, Gutachter). Uniwagnis verwaltet somit Daten von Versicherten, aber auch von Nichtversicherten. Die Versicherungswirtschaft sieht in dem geschaffenen System eine Möglichkeit, sich vor „Versicherungsmissbrauch” zu schützen und hat das System in sieben verschiedenen Versicherungssparten unterteilt: Kfz-, Unfall-, Rechtsschutz-, Sach-, Lebens- (Wagnisstellen: Sonderwagnis, Berufsunfähigkeit, Pflegerente), Transport- (inkl. Reiserücktritt, Reisegepäck) und Haftpflichtversicherung. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Versicherungsgesellschaften sind an Uniwagnis inzwischen angeschlossen, ausgenommen der Sparte Private Krankenversicherung (PKV).

Faktisch wirkt Uniwagnis aber auch als schwarze Liste für unerwünschte Risiken. Wenn ein Antragsteller bei einem GdV-Mitglied einen Antrag auf z.B. eine Berufsunfähigkeitsversicherung stellt, prüft die Gesellschaft den Vorgang und möchte erfahren, ob der Antragsteller sich zugleich bereits bei einer andere Versicherung wegen dieses Risikos um Aufnahme bemüht hat, ob ein Versicherungsvertrag zu Stande kam oder abgelehnt bzw. ob früher bereits schon einmal BU- oder Unfallversicherungsleistungen geltend gemacht wurden.

Der Antragsteller wird – seit Inkrafttreten des neuen VVG sehr detailliert – hierzu schriftlich befragt. Zugleich möchte der Versicherer jedoch auch ermitteln, ob die Antworten vollständig und wahrheitsgemäß sind. So kann er später gegebenenfalls in die für ihn günstige Situation der Leistungsfreiheit wegen einer Anzeigepflichtverletzung gelangen, d.h.gem. § 19 II VVG vom Vertrag zurücktreten oder gem. § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung anfechten. Uniwagnis ermöglicht es den Versicherern durch Rücktritt oder Anfechtung leistungsfrei zu werden und die bis dahin entrichteten Prämien gem. § 39 VVG einzubehalten, wenn ein Antragsteller falsche Angaben gemacht hat.

Das System funktioniert folgendermaßen: Jede Annahme, Ablehnung, wesentliche Änderungen oder Auffälligkeiten zu einem Versicherungsvertrag, wozu auch Angaben zum persönlichen Gesundheitszustand rechnen können, werden von den Mitgliedsunternehmen in verschlüsselter Kurzform per EDV gemeldet. Die weitergegebenen Daten unterliegen einem Strukturcodeverfahren und sind nicht unmittelbar personenbezogen. Wenn über den Antragsteller Hans Mustermann, geb. am 1. 1. 1965, wohnhaft Musterstraße in Neumusterstadt, eine Meldung erfolgen soll, wird mit der Software Uniwagnis I ein anonymisierter Schlüssel aus verschiedenen personenbezogenen Daten gebildet. Dieser arbeitet, von einer externen Firma (Uniserv GmbH, Pforzheim) entwickelt, auf einer fonetischen Basis. Die Buchstaben eines Wortes werden nach Klang und nicht nach genauer Schreibweise gespeichert (sog. Kölner Modell) und überdies Buchstaben in eine Ziffernfolge verwandelt.

Das System kann für die Verbandsmitglieder jedoch nur dann Sinn ergeben, wenn sie die kryptischen Datensätze wieder rückschlüsseln können. Hierfür lässt der GdV seinen Mitgliedsunternehmen eine (ihm angeblich unbekannte) Codierung zur Verfügung stellen (Uniwagnis II), wieder durch besagte externe Softwarefirma, die die Mitglieder zur Einmeldung in das System verwenden und daher auch lesen können. Wenn sich bei Rückschlüsselung der Zahlenkolonne im Zuge der Prüfung eines Versicherungsantrags oder Schadensfalls Ähnlichkeiten zwischen der Person des Antragstellers und einem bereits vorhandenden Datensatz ergeben, können die Versicherungen diesen Fall aus der normalen Bearbeitung herausziehen. Auf Grund der vorformulierten Datenweitergabeklauseln in den Antragsunterlagen, die einseitig von den Versicherungen bestimmt werden und ohne die ein Antrag nicht bearbeitet wird (weswegen auch nicht unbedingt von Freiwilligkeit bei der Einwilligung in diese Klausel gesprochen werden kann), können sie sich sodann untereinander austauschen. Eine erweiterte Softwareversion Uniwagnis III erlaubt es sogar, ganze Bestände eines Versicherungsunternehmens mit dem System abzugleichen.

Die Datenübermittlung an Uniwagnis erfolgt bei Antragstellung bzw. Risikoprüfung, indem es zur EDV der GdV-Mitglieder über Softwareschnittstellen im Hintergrund automatisch mitläuft. Technisch können damit auch dann Daten von Antragstellern übermittelt werden, wenn diese – z.B. bei einem Probeantrag – ausdrücklich widersprochen haben. Bei laufenden Versicherungsverträgen werden Informationen ferner über ein Punktesystem gemeldet, wenn jemand eine Versicherung „zu häufig” in Anspruch nimmt, z.B. mehrere Rechtsschutzfälle pro Jahr produziert, oder Verdacht auf Teilnahme an einem Versicherungsbetrug besteht, z.B. getürkte Verkehrsunfälle. Ein Unfall ereignet sich nachts auf einsamer Landstraße: 5 Punkte. Trotzdem gab es einen Zeugen (was gemäß GdV-Logik wohl auf Betrug hindeutet): 20 Punkte. Die Punkte werden für jeden Beteiligten vergeben und können auch Nichtversicherte treffen. Ab einem Scorewert von 60 Punkten, deren genaue Entstehungsvoraussetzungen der GdV jedoch geheim hält, damit sich Betrüger – so die Begründung – nicht auf das System einstellen können, gibt Uniwagnis eine Alarmmeldung ab.

Die Versicherungslobby hat somit ein raffiniertes und effektives System geschaffen, das Datenschutzrecht faktisch zu umgehen, indem sie auf die Verarbeitung und Weitergabe unmittelbar personenbezogener Daten verzichtet, die über die Bürger kommunizierten Daten jedoch nur soweit teilanonymisiert, dass sie innerhalb der Branche wieder rückgeschlüsselt werden können. Dadurch vermeidet es der GdV auch, arbeitsaufwändig Auskünfte an die Betroffenen erteilen zu müssen und kann sich bei Anfragen darauf zurückziehen, er würde lediglich gem. § 11 BDSG tätig und hätte keine Kenntnis darüber, ob Angaben zu einer konkreten Person vorlägen. Die Dauer der Speicherung variiert zwischen fünf und – in der Berufungsfähigkeitsversicherung – zehn Jahren, je nach Versicherungssparte. Über die weiteren Mechanismen des Datenbanksystems schweigt sich der GdV aus. Kritiker beanstanden, dass während die Kunden den Versicherungen nicht gläsern genug sein können, Transparenz in eigener Sache strikt abgelehnt wird. Der Zentralverband informiert lediglich „im Großen und Ganzen”, betont fortgesetzt die Notwendigkeit des Systems und arbeitet darauf hin, eine öffentliche Diskussion hierüber zu erschweren, wohl wissend, dass es bislang keine gesetzliche Grundlage für Uniwagnis gibt. Das System beruht ausschließlich auf vertraglichen Absprachen der GdV-Mitglieder, die sich auf besagte – angeblich freiwillige – vorformulierte Datenweitergabeklauseln in den Antragsunterlagen stützen.

2. Risiken und Gefahren für Antragsteller und Versicherte

„Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.” weiß der Volksmund. Auch Versicherer, Wirtschaftsunternehmen wie alle anderen und daran interessiert, gewinnbringend zu arbeiten, sortieren zwischen guten, weniger guten und schlechten Risiken. Solche, die im Schadensfall hohe Kosten verursachen, werden entweder mit einer deutlich erhöhten Prämie versichert oder aus dem Erstattungskatalog – bzw. personenbezogen: von der Aufnahme – ausgeschlossen. Dieses Annahmeverhalten führt dazu, dass ganzen Bevölkerungsgruppen günstige Tarife und Zusatzversicherungen verwehrt werden, sobald die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe einmal als schlechtes Risiko identifiziert wurde (z.B. vormalige Psychotherapie- und Psychiatriepatienten). Da zur Absicherung einer Familie oder für einen Immobilienkredit heutzutage aber auch eine Berufsunfähigkeits- und Risikolebensversicherung erforderlich ist, die nur auf dem privaten Versicherungsmarkt erhältlich ist, stellt diese Annahmepolitik weite Teile der Bevölkerung ins Abseits. Und da auch Migrationshintergrund und ethnische Zugehörigkeit aus Sicht der Versicherungsmathematik ebenso wie Alter und Geschlecht risikoerhöhende Faktoren darstellen, kann – da der GdV diese Transparan bislang nicht hergestellt hat – nicht ausgeschlossen werden, dass die Datensammlungen eine vom Gesetzgeber bislang nicht erkannte Umgehung des AGG darstellen.

Wenn die Versicherungswirtschaft somit vorträgt, bei Uniwagnis ginge es lediglich um die Abwehr von Betrügern, verschweigt sie, dass seine Aufgabe zugleich auch eine weitere ist. Erhöhte Risiken, die nicht auf Betrug zurückgehen, für alle angeschlossenen Mitglieder zu identifizieren und auszusortieren. So betrachtet handelt es sich um ein zu Scoringzwecken genutztes Marktinformationssystem mit der Wirkung eines Preiskartells gegen die Versicherten, wobei der Verdacht nicht fernliegend erscheint, dass es auf eine im Ergebnis illegalen Beschränkung des Wettbewerbs (§ 1 GWB) hinausläuft.

Die von Uniwagnis erfassten Personen, haben – anders als beim System der Schufa – jedenfalls keine Möglichkeit, sich hiergegen zu wehren, denn sie erfahren nicht, wer welche Datensätze über sie aus welchem Grund angelegt hat und können auch keinen Auskunftsanspruch geltend machen. Nur eine sehr aufwändige Anfrage bei jedem einzelnen GdV-Mitglied gestützt auf § 34 BDSG könnte diese Erkenntnis vermitteln: Dieser Weg ist jedoch sehr beschwerlich. Es können sich überdies Fehler einschleichen: Wenn eine Versicherung einen „Treffer” beim Abgleich mit den kodierten Daten findet, ist sie nicht gezwungen, diejenige Stelle zu kontaktieren, die den Datensatz eingestellt hat. Daher kann es vorkommen, dass Versicherungsverträge abgelehnt werden, weil die Kodierung das gleiche Ergebnis wie bei einem auffälligen Versicherten liefert und die Sachbearbeiter zu bequem sind, eine weitere Aufklärung zu betreiben. Schwintowski weist zutreffend darauf hin, dass die Sachbearbeiter der Versicherungen überhaupt einen Unsicherheitsfaktor darstellen, wie vollständig und richtig die Datenbank geführt wird. Da es in der Privatversicherung keinen Kontrahierungszwang gibt, sind Antragsteller diesem Vorgehen bislang genauso ohnmächtig ausgeliefert, wie auch nichtsahnende Nichtversicherte.

3. Resonanz in Rechtsprechung und Literatur

Zwar hat der Düsseldorfer Kreis, der bundesweite Zusammenschluss der Datenschutzaufsichtsbehörden im Privatbereich, das System kritisiert und mehr Transparenz gefordert. Es fällt jedoch auf, dass sich die Rechtsprechung bislang kaum mit Uniwagnis beschäftigt hat. Ein Urteil des OLG Hamm, ein weiteres Urteil des OLG Saarbrücken und ihm nachfolgend der BGH. In den letzteren beiden Entscheidungen ging es im Wesentlichen um die Frage, ob das Wissen des Versicherers aus Uniwagnis die Anzeigeobliegenheiten des Versicherungsnehmers entfallen lässt, was die Rechtsprechung verneint hat. Die Erfüllung einer Obliegenheit würde sich ansonsten in ein „Recht zur Lüge” verwandeln, wenn der zur Aufklärung gehaltene Versicherungsnehmer die vorsätzliche Verletzung damit rechtfertigen könne, dass sich der Versicherer über die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben anderweitig habe Kenntnis verschaffen können. – Im Ergebnis zwar vertretbar, aber dieser Teil der Begründung verkennt die Komplexität des Problems.

Auch juristische Autoren haben sich dem Thema bislang nur sporadisch genähert. Die Medien bezogen gegen Uniwagnis bereits mehrfach eine kritische Haltung. Da das EDV-System Verbraucher zum Spielball der Interessen der Versicherungswirtschaft degradiert, brachte es dem GdV den „Big Brother Award” 2006 für den Bereich Verbraucherschutz ein.

4. Vorschläge an den Gesetzgeber

Der Autor hatte daher ein Petitionsverfahren gem. Art. 17 GG beim Deutschen Bundestag angestrengt, um diesen mit einem Teil der Problematik von Uniwagnis zu konfrontieren. Es wurde – als Ausschnitt aus dem Problemfeld – vorgeschlagen, im Rahmen der VVG-Reform zunächst Regelungen zu treffen, die es Versicherern untersagen, vor Abschluss eines Vertrags Daten der Antragsteller an andere Assekuranzen oder an Hinweis- und Informationssysteme der Versicherungswirtschaft weiterzugeben sowie die Antragsteller nach abgelehnten oder zurückgenommenen Anträgen oder gekündigten Verträgen zu befragen, da jede Gesellschaft ihr Annahmerisiko in freier Verantwortung selber zu tragen habe. Zugleich wurde angefragt, welche Maßnahmen im Hinblick auf die Möglichkeit einer Kontrolle zur Korrektur bzw. Sperrung von Daten in Hinweis- und Informationssystemen geschaffen werden können. Im Beschluss vom 14. 2. 2008 antwortete der Petitionsausschuss, die Petition habe den parlamentarischen Berichterstattern im Rechtsausschuss vorgelegen, wie auch dem Bundesjustizministerium als für das Versicherungsrecht zuständigem Ressortministerium, und gab hieraus zusammenfassend zur Antwort:

Nach § 4 I BDSG sei die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch öffentliche oder nichtöffentliche Stellen zulässig, soweit eine Rechtsvorschrift dies erlaube oder anordne oder der Betroffene eingewilligt habe. Das Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts habe die Problematik des Datenschutzes insoweit aufgegriffen, als nunmehr eine ausdrückliche Vorschrift für die Erhebung personenbezogener Daten bei Dritten durch Unternehmer der privaten Krankenversicherung vorgesehen sei. Das Gesetz sehe vor, dass die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch den Versicherer bei Dritten nur zulässig sei, soweit die Kenntnis der Daten für die Beurteilung des zu versichernden Risikos oder der Leistungspflicht erforderlich sei, die Daten bei einer der in § 203 I Nrn. 1, 2 und 6 StGB genannten Personen erhoben würden und die betroffene Person im Einzelfall eine Einwilligung nach § 4a BDSG erteilt habe (§ 213 VVG n.F.).

Soweit sich die Petition gegen die Praxis der Versicherer wende, im Rahmen der Risikoprüfung bei Antragstellung weitergehende Informationen abzufragen, und zwar namentlich zu erfragen, ob bei einer anderen Gesellschaft bereits ein entsprechender Antrag gestellt oder ein solcher abgelehnt worden sei, verweist der Ausschuss wie bereits in Pet 4-15-07-7617-011862 darauf, dass der Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen habe. Erheblich seien solche Umstände, die geeignet seien, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Die Frage nach früheren Anträgen oder Versicherungen zähle nach ganz herrschender Rechtsprechung zu den aus Sicht des Versicherers gefahrerheblichen Umständen. Der Versicherer habe das Recht und – im Interesse der Versichertengemeinschaft – auch die Pflicht, hinreichende Kenntnis von der Person des Antragstellers zu erlangen, um so das Risiko sachgerecht einschätzen zu können. Diesem Zweck diene auch die Frage nach früheren Versicherungen oder auf deren Abschluss gerichteten Anträgen. Die Frage würde auch nicht als besonders schwerwiegender und daher etwa unzulässiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Antragstellers angesehen. Fragen nach der Gesundheit des Versicherungsnehmers würden die Privatsphäre des Antragstellers in weitaus stärkerem Maße berühren. Gleichwohl sei auch hier allgemein anerkannt, dass ihre wahrheitsgemäße Beantwortung zur Bewertung des Risikos in der Personenversicherung unerlässlich wäre. Die Rechtsprechung billige dem Versicherer sogar zu, zeitlich unbegrenzte Gesundheitsfragen zu stellen.

Die Petition wurde abgelehnt, auch wohl deswegen, da der Gesetzgeber auf Grund des gerade abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahrens, dem langjährige Diskussionen und Widerstände der Versicherungslobby vorangegangen waren, keine weiteren gesetzlichen Änderungen zeitnah in Aussicht stellen wollte.

5. Fortbestehende Änderungsnotwendigkeit

Der Bundestag steckt den Kopf in den Sand. Er verschließt den Blick darauf, dass Uniwagnis nicht nur Daten von Personen speichert, die gem. § 4 BDSG formaliter eingewilligt haben, sondern weit darüber hinausgeht. Zugleich verkennt er, dass es Verfassungsauftrag des Staates ist, die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen gegen Eingriffe, für die keine gesetzliche Grundlage besteht, zu schützen, woraus eine Pflicht resultiert, das vorstehend angesprochene Problem einer Lösung zuzuführen. Bei der Diskussion um Hinweissysteme der Versicherungswirtschaft geht es nicht um die Reizworte Gentests, Kontrahierungszwang oder gar „Bürgerversicherung”. Der Gesetzgeber schuldet vielmehr eine Antwort darauf, ob die Assekuranzen – quasi im Wege eines Kartells – nach eigenem Gutdünken berechtigt sind, zu definieren, welche Informationen sie über Antragsteller und Dritte einholen, verarbeiten, weitermelden und sich hierzu eines EDV-Datenbanksystems bedienen wollen, welches gläserne Bürger erschafft. Diese werden zugleich aber von im Grunde jeglicher Mitbestimmung und Informationsmöglichkeit ausgeschlossen und faktisch entmündigt und zu codierten Objekten degradiert. Zu beantworten hat der Gesetzgeber ferner die Frage, ob dies alles ausschließlich auf vertragsrechtlicher Basis geschehen darf, ohne eine gesetzliche Grundlage, die dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen Sorge trägt.

Uniwagnis steht im Verdacht, den Anspruch auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG zu missachten. Soweit sich die Versicherungswirtschaft zur Entgegnung auf diesen Einwand auf ihre finanziellen Interessen und den Schutz der Bestandskunden beruft, muss darauf verwiesen werden, dass Art. 20 I GG neben dem Demokratieprinzip auch das Sozialstaatsprinzip und Art. 14 GG die Sozialpflichtigkeit des Eigentums kennt. Mit diesen Grundgedanken ist es nicht vereinbar, eine Gesellschaft zu spalten in diejenigen, die am Privatversicherungssystem (zu dem es keinen staatlichen Ersatz gibt, der soziale Härten auffängt) teilnehmen dürfen, und denjenigen, die Uniwagnis hiervon ausschließt, zumal die Zuordnung zur jeweiligen Kohorte teilweise auch paradoxen Auswahlkriterien folgt: Wer sich mit dem Vorwurf des Versicherungsbetrugs konfrontiert sieht, sich gegen die Kündigung der Police aber nicht zur Wehr setzt, z.B. weil das Geld für einen Prozess fehlt, gilt in den Augen von Uniwagnis als Betrüger. Wer einen streitlustigen Nachbarn hat, der ihn fortgesetzt in Rechtsschutzfälle verwickelt, kann sich ebenfalls auf einer Stufe mit einem Versicherungsbetrüger wiederfinden. Ebenso derjenige, dessen Kraftfahrzeug samt Fahrzeugpapieren entwendet wurde. Eine Sanktion droht somit bereits bei völlig vertragsgemäßem Verhalten, wenn man mit Versicherungen das tut, wozu sie abgeschlossen wurden: sie im Schadensfall in Anspruch zu nehmen.

Die Gestaltung der Annahmerichtlinie, wo die einzelnen Versicherer die Grenze zwischen versicherbaren und nichtversicherbaren Risiken ziehen, wie auch das Regulierungsverhalten im Leistungsfall, ist zwar von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Jedoch führt die Datenbank, zumal Datenbanken überhaupt Entscheidungsprozesse ändern, zu einem Kartell: Wer über das System als jemand identifiziert wurde, dessen Antrag andernorts bereits abgelehnt wurde, wird auch von den übrigen GdV-Mitgliedsunternehmen gemieden. Ferner kommt hinzu: Versicherungen sind inzwischen multinationale Konzerne und grenzübergreifend tätig, daher entzieht es sich der Kontrolle des deutschen Datenschutzes, wie und wozu ausländische Mutter- oder Tochterkonzerne deutscher Versicherungen Uniwagnis nutzen und wo die im Inland erhobenen Versicherungsdaten im Ausland gespeichert und verarbeitet werden.

Sehr richtig weist die Antwort des Petitionsausschusses als Lösungsansatz auf § 213 VVG n.F.hin. Es wäre wünschenswert, den Grundgedanken dieser Vorschrift auf die gesamte Privatversicherung zu erstrecken. Der GdV hätte damit nach wie vor die Möglichkeit, die Datenbestände von Uniwagnis an seine Mitglieder weiterzuleiten, müsste sie aber in ein offenes und transparentes System überführen, etwa wie das der Schufa, welches auch vereinfacht auf Fehler überprüfbar wäre. Seine bislang vorgebrachten Interessen, seine Mitglieder gegen Betrug zu schützen, brauchte der GdV hierdurch nicht aufzugeben.

6 . Zusammenfassung

Uniwagnis ist eine der größten und undurchsichtigsten Datenbanken, die in Deutschland besteht (eine „Datenkrake”). Der GdV sammelt im Auftrag seiner Mitglieder Informationen über Versicherte und Nichtversicherte, die aus Sicht der Versicherungswirtschaft ein wie auch immer geartetes geschäftliches Risiko darstellen und daher gemieden werden sollen. Eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt; Uniwagnis betätigt sich im „Schattenreich” vertraglicher Absprachen. Da das System lediglich teilanonymisiert arbeitet, können die gespeicherten Daten bei den Mitgliedsunternehmen personenbezogen zugeordnet werden. Eine Auskunftserteilung an die Betroffenen ist anders als im System der Schufa oder bei anderen Auskunfteien demgegenüber nicht vorgesehen. Uniwagnis birgt die Gefahr der Diskriminierung beim Zugang zum Versicherungsmarkt und wirkt sich ökonomisch als Scoringdatei und Preiskartell aus, da die GdV-Mitglieder die als erhöhtes Risiko identifizierten Personen nicht, jedenfalls nicht zu regulären Konditionen, zu versichern bereit sind. Ganzen Bevölkerungsgruppen, z.B. Patientengruppen, werden auf diesem Weg chancengleiche Angebote vorenthalten und sie aus wesentlichen Bereichen der Privatversicherung ausgeschlossen. Dagegen bestehen erhebliche Bedenken. Der GdV sollte durch eine Sondervorschrift im VVG dazu angehalten werden, Uniwagnis ebenso transparent zu gestalten, wie die Schufa-Datenbank, und jedem potenziell Betroffenen einen gesetzlich verbürgten Auskunftsanspruch gewähren zu müssen.

Quellen

  • http://de.wikipedia.org/wiki/Uniwagnis.
  • Schwintowski, VuR 2004, 243.
  • BGH, NJW 2005, 2549; Schwintowski, VuR 2004, 242 (243); Finanztest 11/2006, S. 77.
  • Brauneisen, VW 1993, 147.
  • Näheres unter https://www.datenschutzzentrum.de/wirtschaft/20070703- his.htm.
  • Kritisch hierzu Schwintowski, VuR 2004, 242; s. auch Lippert, in: Management-Hdb. für die psychotherapeutische Praxis, Nr. 2000, Rdnr. 7.
  • Schwintowski, VuR 2004, 242 und Finanztest 11/2006, S. 68.
  • Auskunft Wolfgang Scholl, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Berlin.
  • https://www.datenschutzzentrum.de/wirtschaft/20070703-his.htm.
  • 45 StVG enthält eine Legaldefinition des Begriffs „anonymisierte Daten”.
  • Ehler, VW 2006, 1759.
  • „Zugang versperrt”, Finanztest 2/2002, S. 68–74.
  • Riemer, Psychotherapeut 2004, 227 = SpV 2005, 77–80; Bühring, Deutsches Ärzteblatt-PP 2006, 337; Fritze, psychoneuro 2005, 222 mit Anm. Riemer, psychoneuro 2005, 487.
  • Finanztest 8/2006, S. 76, 78 („Versicherer auf Datenjagd”) weist darauf hin, dass Versicherungen auch aus anderen Quellen Scoringdaten anfragen, um Versicherte einer Schadensprognose zu unterziehen.
  • Schwintoswki, VuR 2006, 316f.
  • MMR 2007, Heft 8, S. XIII.
  • OLG Hamm, NJOZ 2008, 1766.
  • OLG Saarbrücken, VuR 2006, 313 mit Anm. Schwintowski.
  • BGH, r+s 2007, 147; vgl. hierzu auch Terno, DAR 2007, 316 (322–323).
  • Philipp, SVR 2008, 11.
  • a. Wesselhöft, Datenschutz im Versicherungswesen, Uni.-Diss. Hamburg 1996, S. 199–211; Hoeren, VersR 2005, 1014 (zurückgehend auf ein Auftragsgutachten für den GdV; im Ergebnis abzulehnen).
  • Kunze, DIE ZEIT 36/2003; Biermann, DIE ZEIT 3/2008; Dolle-Helms, SZ v. 17. 11. 2006.
  • http://www.bigbrotherawards.de/2006/.cop/.
  • Pet 4-16-07-7617-016193.
  • Beschluss v. 10. 3. 2005, BT-Dr 15/4941, im Wortlaut veröffentlicht bei Riemer: „Psycho” ist nicht versicherbar, Psychotherapeut 2005, 367–371 = SpV 2006, 3–8.
  • Unter Verweis auf OLG Saarbrücken, NJOZ 2007, 3435.
  • Buyten/Simon, VersR 2003, 813.
  • Versicherer auf Datenjagd, Finanztest 8/2006, S. 76.

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