Landgericht Köln stärkt Minderjährigenschutz nach Verkehrsunfällen
Das Landgericht Köln hat im Berufungsurteil 13 S 129/15 vom 13.1.2016 unter Vorsitz seines Präsidenten Ketterle den Schutz Minderjähriger nach Verkehrsunfällen gestärkt.
Was war passiert ?
Ein 15-jähriger Realschüler der 9.Klasse lief nach Schulschluss um die Mittagszeit zur Bushaltestelle, um mit dem Schulbus nach Hause zu fahren. Auf diesem Weg wurde er an einer Fußgängerampel von einem BMW gestreift, an dem ca. 1.500,- € Sachschaden entsteht. Der BMW-Fahrer behauptete gegenüber der eintreffenden Polizei, er habe grün gehabt. Der Schüler räumte gegenüber der Polizei auf Befragen ein, dass er nicht auf die Ampel geachtet habe, da er schnell zu seinem Bus auf der anderen Straßenseite gelangen wollte.
Die Polizeibeamten hielten diese Aussage so im Unfallprotokoll fest und notiert darin den 15-jährigen als Unfallverursacher. Der BMW-Fahrer klagte sodann beim Amtsgericht Brühl seinen Kfz-Schaden gegen den Schüler gestützt auf diese polizeiliche Protokollierung ein. Das Amtsgericht vernahm die Polizeibeamten in der mündlichen Verhandlung zu der Aussage des 15-jährigen am Unfallort und gab der Klage statt (AG Brühl, Urteil vom 11.6.2015 – 21 C 140/14). Ein Beweisverwertungsverbot sah das Amtsgericht zu den Aussagen des Schülers nicht. Das Landgericht Köln hob das erstinstanzliche Urteil auf und weist die Klage ab.
Warum?
Es geht um den Minderjährigenschutz bei der polizeilichen Vernehmung nach einem Verkehrsunfall. Aus den Ausführungen von Urteilsseite 3 des Berufungsurteils lassen sich folgende Rechtssätze entnehmen:
- Soll ein 15-jähriger Minderjähriger von der Polizei nach einem Verkehrsunfall als Unfallverursacher vernommen werden, ist zur späteren Verwertbarkeit seiner Aussage zumindest erforderlich, dass er zuvor von den Polizeibeamten gem. § 67 JGG auch darüber belehrt wird, dass er vor einer Aussage das Recht habt, seine Personensorgeberechtigten zu kontaktieren.
- Diese gesetzliche Regelung beruht auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere „Geständnisfreudigkeit“ aufweisen, also in geringerem Umfang in der Lage sind, auch bei ansonsten korrekter Belehrung über das Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit dahingehend Gebrauch zu machen, auf Angaben zur Sache möglicherweise zu verzichten.
- Unterbleibt eine solche Belehrung im Ordnungswidrigkeitenverfahren, führt dies auch zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess.
Diesen Fehler hatten die Polizeibeamten nämlich begangen, was auch auf den Schadensersatzprozess durchschlug. Der 15-jährige hatte noch nicht einmal das Mindestalter des § 455 Abs.2 ZPO von 16 Jahren erreicht, ab dem Minderjährige selber im Rahmen einer Parteivernehmung zu dem Unfallhergang vernommen werden konnten.
Das Landgericht brauchte zwar nicht zu entscheiden, ob diese Vorschrift im vorliegenden Fall eine Sperrwirkung für die Verwertung der Angaben des Schülers gegenüber der Polizei entfaltete; es hat aus § 455 Abs.2 ZPO jedoch eine „Interessenabwägung“ hergeleitet: Da der 15-jährige von der Polizei nicht einmal darüber belehrt worden war, dass er vor einer Aussage das Recht habe, seine (alleinerziehende) Mutter zu kontaktieren, ist seine vom Amtsgericht als Schuldeingeständnis gewertete Einlassung gegenüber der Polizei nicht verwertbar gewesen.
Da es weitere Zeugen zugunsten des BMW-Fahrer nicht gab, stand im Prozess Aussage gegen Aussage und wurde die Klage wegen Beweisfälligkeit des Klägers („non licet“) somit abgewiesen.
Der Amtsrichter ist ziemlich restriktiv an das Verfahren herangegangen. Zunächst hat er dem 15-jährigen Beklagten sogar Prozesskostenhilfe verwehrt (AG Brühl, Beschluss vom 19.3.2015 – 21 C 140/14). Das Landgericht Köln hatte diese Entscheidung zuvor jedoch bereits aufgehoben und dem PKH-Antrag stattgegeben (LG Köln, Beschluss vom 16.4.2015 – 13 T 25/15). Dies muss den Amtsrichter wohl „verstimmt“ haben. Denn die Basis der erstinstanzlichen Verurteilung war doch schon recht dünn.
Solche Vorgänge (Verkehrsunfälle mit Minderjährigen; diese äußern sich sodann spontan gegenüber der Polizei) können immer wieder vorkommen. Das Landgericht Köln räumt ein für alles mal damit auf, dass die Polizei solche „Geständnis“ überhaupt verwerten darf, wenn vorher nicht die Eltern zugezogen wurden.
Stand: 28.01.2016
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