Versicherungsbedingungen werden bei Vertragsschluss nicht (vollständig) mitgeteilt
– Das gilt es zu beachten!
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Versicherungsvertrag abgeschlossen. Vor Vertragsschluss wurden Sie auch ausführlich beraten, es wurde allerdings versäumt, Ihnen die Versicherungsbedingungen vollständig mitzuteilen. Nun tritt erst viele Monate später der Versicherungsfall ein, und Sie wissen gar nicht gesichert, zu welchen Bedingungen Sie was versichert haben. Zwar würden solche Teile, die dem Versicherungsnehmer nicht mitgeteilt wurden, grundsätzlich auch nicht Vertragsbestandteil, allerdings könnte dadurch der Versicherer übervorteilt werden. Es stellt sich mithin die Frage danach, wie sich das Nichtmitteilen von Vertragsbedingungen auf deren Wirksamkeit auswirkt, insbesondere, wenn deren Unwirksamkeit zum Nachteil des Versicherungsnehmers ginge.
I. Versicherungsbedingungen werden bei Vertragsschluss nicht mitgeteilt
Im ersten Fall teilt der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss überhaupt keine Versicherungsbedingungen mit.
1. Regelung nach BGB
Versicherungsbedingungen sind AGB, es sind somit die allgemeinen Regeln der §§ 305 ff. BGB anwendbar. Gemäß § 305 Abs. 2 BGB ist der Verwender verpflichtet, die andere Partei bei Vertragsschluss auf die AGB hinzuweisen und ihr die Möglichkeit zur Kenntnisnahme zu verschaffen. Es ist somit seit der Einführung des § 305 Abs. 2 BGB nicht mehr so, dass – wie früher noch möglich – AGB unter bestimmten Voraussetzungen auch dann Vertragsbedingungen wurden, wenn die andere Partei weder durch den Verwender auf diese hingewiesen worden war, noch diese überhaupt gekannt hatte.[1] Auch die früher gemäß § 23 Abs. 3 AGBG bestehende Ausnahme für Versicherungsverträge ist am 01.01.2002 mit Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB ersatzlos entfallen.[2]
Ein Verletzen besondere Informationspflichten, wie der Verpflichtung des Versicherers zur Mitteilung der AGB an die andere Partei, wirkt sich nicht grundsätzlich darauf aus, ob die Versicherungsbedingungen in den Vertrag einbezogen sind, sofern die Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB erfüllt sind.[3]
2. Regelung nach VVG
Zudem gelten für Versicherungsverträge die Regeln des VVG. Zur Beantwortung der zu Beginn aufgeworfenen Frage ist auf §§ 5 und 7 VVG zurückzugreifen.[4] § 7 Abs. 1 VVG sieht vor, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss seine Vertragsbestimmungen sowie die allgemeinen Versicherungsbedingungen in Textform mitzuteilen hat. Wird diese Informationspflicht vom Versicherer verletzt, so bestimmt § 8 Abs. 2 VVG, dass die Widerrufsfrist ausgesetzt wird. Zusätzlich sind Schadensersatzansprüche des VN aus culpa in contrahendo und aufsichtsrechtliche Sanktionen gegen den VR mögliche Mittel.[5]
In § 5 VVG ist genau der Fall geregelt, dass der tatsächliche Vertragsinhalt vom Antrag des Versicherungsnehmers abweicht. In Abs. 3 heißt es, dass der Vertrag als mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsnehmers geschlossen gilt, wenn der Versicherer die in Abs. 2 genannten Verpflichtungen nicht erfüllt. Aus Abs. 2 ergibt sich die Verpflichtung, auffällige Hinweise auf Abweichungen im Versicherungsschein vorzunehmen. Wenn auf Abweichungen bereits hinzuweisen ist, dann müssen notwendigerweise auch die Vertragsbedingungen jedenfalls einmalig zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zugänglich gemacht werden. Folglich würde ein Antrag des Versicherungsnehmers auf eine Leistung aus einem Versicherungsvertrag, aus dem ihm die Versicherungsbedingungen nie vorgelegt wurden, dann zu dem Inhalt des Antrags als geschlossen gelten. Der Vertrag ist also dem Antrag des Versicherungsnehmers entsprechend nach dessen Erwartungshorizont zustande gekommen. Hier ist auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bzw. Versicherten abzustellen.
II. Versicherungsbedingungen werden bei Vertragsschluss nicht vollständig mitgeteilt
Im zweiten Fall teilt der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss zwar Versicherungsbedingungen mit, aber er tut dies nur unvollständig. Dem Grunde nach verhält es sich in dieser Fallkonstellation nicht wesentlich anders als bei einer vollständigen Nichtmitteilung. Es gibt dennoch einige Besonderheiten.
1.Regelung nach BGB
Wenn AGB ausdrücklich in Bezug genommen werden, diese im Folgenden aber dann nur teilweise abgedruckt sind, so wird jedenfalls im Bereich der Verbraucherverträgen auch nur der abgedruckte Teil Vertragsinhalt.[6]
2. Regelung nach VVG
Orientiert an §§ 5 und 7 VVG ergibt sich, dass der unvollständige Vertrag dem Antrag des Versicherungsnehmers entsprechend nach dessen Erwartungshorizont für nicht abgedruckte Teile ergänzt wird, wobei hier ebenfalls auf einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer bzw. Versicherten abzustellen ist. Ebenfalls ist zuvor auf § 7 Abs. 1 VVG abzustellen, nach dem auch hier die Widerrufsfrist ausgesetzt ist und andere Ansprüche auf Schadensersatz bestehen können.
III. Ergebnis
Während die Regelungen des BGB eher streng sind, bietet § 5 VVG einen guten Anknüpfungspunkt für den Fall, dass die Versicherungsbedingungen bei Vertragsschluss nicht oder nicht vollständig mitgeteilt werden. Sollten Sie sich in einer der beschriebenen Fallkonstellationen wiederfinden, so zögern Sie nicht, sich anwaltliche Hilfe zu suchen, damit Sie bestens beraten ihre Rechte geltend machen können.
[1] MüKoBGB/Fornasier BGB § 305 Rn. 56.
[2] MüKoBGB/Fornasier BGB § 305 Rn. 60.
[3] MüKOBGB/Fornasier BGB § 305 Rn. 64.
[4] MüKoBGB/Fornasier BGB § 305 Rn. 60.
[5] Langheid/Wandt/Armbrüster VVG § 7 Rn. 110.
[6] NK-BGB/Andreas Kollmann BGB § 305 Rn. 50.
Erstellt am 25.09.2023.
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Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer
Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht