Rücktrittsrecht des Krankenversicherers bei Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten

Der Bundesgerichtshof (Az. IV ZR 372/15, Urteil vom 27.4.2016) hatte über den Fall des Rücktritts einer privaten Krankenversicherung vom Versicherungsvertrag wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflicht zu entscheiden. Das Urteil zeigt mustergültig auf, wann sich ein Versicherer vom Vertrag durch Rücktrittserklärung wieder lösen kann.

Beantworten Sie Gesundheitsfragen wahrheitsgemäß

Zu jedem Versicherungsantrag für eine private Krankenversicherung (wie auch für Krankentagegeld- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen) gehört, dass Versicherungen Gesundheitsfragen stellen. Sie möchten darüber kalkulieren, ob sie den Vertrag nicht, mit Einschränkungen oder nur zu erhöhten Prämien annehmen möchten. Dieses Recht steht ihnen gem. § 19 Abs.1 S.1 VVG zu:

„Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen.“

Wenn zwischen dem Zeitpunkt des Antragsdatums und der Vertragsannahme durch die Versicherung (was mitunter 2 – 3 Wochen dauern kann) neue Erkrankungen auftreten, die der Versicherungsnehmer bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen noch nicht angegeben hat (noch nicht angeben konnte), sind diese Angaben der Versicherungsgesellschaft gem. § 19 Abs.1 S.2 VVG unaufgefordert nachzureichen. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie Risiken betreffen, nach denen „in Textform“ gefragt worden ist:

„Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet.“

Wie können Versicherer später feststellen, ob Gesundheitsfragen falsch beantwortet wurden?

Unrichtige oder unvollständige Angaben über Vorerkrankungen kommen dann heraus, wenn Arztbriefe, die Behandlungsdokumentation oder Abrechnungsdaten zu solchen Krankenbehandlungen der gesetzlichen Krankenkasse hierzu später bekannt werden.

  • Bei fachärztlichen Behandlungen liegt häufig eine Überweisung durch den Hausarzt vor (oder dieser erhält später von seinem Facharztkollegen einen Arztbrief zwecks Information und Anschlussbehandlung).
  • Insbesondere bei Krankenhausbehandlungen wird zumeist eine umfassende Anamnese über den Allgemeinzustand und die bislang erfolgten Krankenbehandlungen durchgeführt und dokumentiert: Diese oftmals Jahre zurückreichende Vorbehandlungsgeschichte ergibt sich dann aus der Klinikdokumentation.
  • Ärztliche Behandlungsdokumentationen sind mindestens 10 Jahre lang aufzubewahren. Dies folgt aus § 10 Abs. 3 MBO-Ä. Bei Röntgenaufnahmen beträgt die Aufbewahrungspflicht gem. § 28 Abs. 3 RöV sogar 30 Jahre.
  • Aufgrund der bei Antragstellung erteilten Schweigepflichtsentbindungserklärung können die Versicherer auf die Behandlungsdokumentationen und Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen/Krankenkassen zugreifen und diese auswerten.

Die Chance, dass unvollständige oder falsche Gesundheitsangaben, nach denen die Versicherer gefragt haben, später „auffliegen“, ist somit recht hoch.

Welche Möglichkeiten haben Versicherer, wenn sie bei der Antragstellung belogen wurden?

Es stehen drei Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Die Versicherung kann – rückwirkend – vom Vertrag zurücktreten (§ 19 Abs.2 VVG).
  • Die Versicherung kann – in die Zukunft gerichtet – den Versicherungsvertrag kündigen (§ 19 Abs. 3 VVG), wenn es zwar objektiv zu falschen Antworten gekommen ist, der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht jedoch weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat).
  • Im Falle einer „arglistigen Täuschung“ kann die Versicherung den Vertrag – rückwirkend – gem. § 22 VVG i.V.m. § 123 BGB sogar anfechten.

Das Rücktritts- und Kündigungsrecht unterliegt gleichwohl gewissen Beschränkungen, wenn die Versicherung den Antrag bei vollständiger Kenntnis nicht abgelehnt, sondern zu geänderten Konditionen (z. B. höherer Beitrag, Leistungsausschlüsse) angenommen hätte: Dann bleibt der Versicherungsvertrag grundsätzlich bestehen, aber zu diesen anderen Konditionen (§ 19 Abs.4 VVG).

Außerdem gelten diese Gestaltungsrechte für die Versicherungen nur dann, wenn sie den Versicherungsnehmer in den Antragsunterlagen auf diese Folgen in Textform hingewiesen hat: Gerade hierzu sind in der Vergangenheit eine Vielzahl von Prozessen geführt worden, weil die erteilten Hinweise der Versicherungen in den Antragsunterlagen nicht immer ausreichend waren.

Muss die Versicherung bei Rücktritt, Anfechtung oder Kündigung gezahlte Beiträge erstatten?

Nein. Gemäß § 39 VVG stehen dem Versicherer die gezahlten Beträge bis zu dem Zeitpunkt zu, zu dem der Rücktritt, die Anfechtung oder die Kündigung wirksam werden. Darin liegt ein hohes Risiko bei falschen Angaben: Der Versicherungsnehmer hat Beiträge zwar entrichtet, bekommt diese jedoch nicht zurück und hatte bei wirksamer Anfechtung auch nie Versicherungsschutz (bei der Kündigung hatte er diesen zwar; beim Rücktritt jedoch nur eingeschränkt für solche Erkrankungen, welche nicht die verschwiegenen Risiken betrafen).

Welche Möglichkeit hat der Versicherungsnehmer für eine Anschlussversicherung?

In allen drei Fällen – Rücktritt, Anfechtung und Kündigung – ist es höchst unwahrscheinlich, dass der Versicherungsnehmer bei einer anderen Gesellschaft zu regulären Konditionen in einem Volltarif noch angenommen wird, da diese nachfragen wird, ob zuvor schon einmal eine private Krankenversicherung bestanden hat und wie diese endete. Kommt sodann heraus, dass und warum die Vorversicherung beendet wurde, lehnen andere Versicherungsgesellschaften die Neukunden dann regelmäßig ab.

In Deutschland besteht jedoch Versicherungspflicht (§ 193 Abs.3 VVG): Niemand darf ohne Versicherungsschutz sein. Ist die Rückkehr in eine gesetzliche Krankenkasse nicht möglich, bleibt dem Versicherungsnehmer dann nur noch die Weiterversicherung im allseits ungeliebten Basistarif. Jede andere private Krankenversicherung muss auf Antrag mit diesem Versicherungsnehmer einen Krankenversicherungsvertrag im Basistarif eingehen. Dafür kann sie jedoch nachträglich Beiträge für Zeiträume erheben, in denen der Versicherungsnehmer keinerlei Versicherungsschutz hatte.

Ein Anspruch gegen dasjenige Versicherungsunternehmen, das den Vorvertrag wegen unrichtiger Gesundheitsangaben beendet hat, dort in den Basistarif übernommen zu werden, besteht hingegen nicht.

Wer hat Schuld an der Auflösung oder dem Nichtzustandekommen des Versicherungsvertrages?

In einer nicht geringen Zahl an Fällen traf die Antragsteller selber kein Verschulden. Sie waren vielmehr von Versicherungsvermittlern schlecht beraten worden. Das Gesetz unterscheidet in § 59 VVG zwischen „Versicherungsvertreter“ und „Versicherungsmakler“.

  • Der „Versicherungsvertreter“ steht im Lager der Versicherung, wo er zumeist angestellt ist oder als Agentur für sie arbeitet: Hat dieser beim Abschluss falsch beraten, fällt sein Verschulden unmittelbar auf die Versicherungsgesellschaft zurück, so dass eine Loslösung vom Vertrag nicht in Betracht kommt.
  • Der „Versicherungsmakler“ hingegen wird vom Antragsteller beauftragt, so dass sein Verschulden dem Versicherungsnehmer zuzurechnen ist.

Versicherungsvermittler haben ein eigenes Interesse daran, Versicherungsverträge zustande zu bringen, da sie hierfür Provision erhalten. Es kann also sein, dass der Antragsteller dem Versicherungsvermittler weitere Vorerkrankungen zwar mitgeteilt hat, dieser aber meinte, dass diese weiteren Angaben „nicht wesentlich“ wären und daher „nicht angegeben zu werden brauchten“.

Schwierigkeiten bekommt bei einer Falschberatung dann zwar zunächst der Versicherungsnehmer; dieser kann sich jedoch im Wege des Regresses beim Versicherungsvermittler schadlos halten, wenn die Falschberatung kausal für den Wegfall des Versicherungsschutzes wurde. § 61 VVG schreibt aus diesem Grund nicht nur eine Beratungspflicht des Antragstellers vor, sondern auch eine Dokumentationspflicht des Vermittlers. Damit soll später nachgehalten werden können, worüber der Vermittler den Antragsteller beraten und aufgeklärt hat.

  • Wird im Gerichtsverfahren festgestellt, dass ein „Versicherungsvertreter“ die Falschberatung zu vertreten hat, kann sich die Versicherung nicht vom Vertrag lösen: Das Wissen des Versicherungsvertreters wird ihr als eigenes zugerechnet.
  • Hat hingegen ein „Versicherungsmakler“ die Falschberatung zu vertreten, werden die Rechte der Versicherungsgesellschaft hierdurch nicht berührt und dem Versicherungsnehmer bleibt nur, den von ihm beauftragten Versicherungsmakler auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. (Prozessual sollte diesem gem. §§ 72 ff. ZPO daher im Gerichtsverfahren gegen die Versicherungsgesellschaft der Streit verkündet werden.)

Erstellt am 05.03.2018

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