Voraussetzungen für die Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei im Zivilprozess
Gerne ordnen Richter an, dass die Parteien eines Rechtsstreits persönlich zur mündlichen Verhandlung erscheinen sollen, nicht lediglich ihre Rechtsanwälte. Zwar kann ein Gericht die Mirkung einer Partei an einer Gerichtsverhandlung im Zivilprozess nicht unmittelbar erzwingen. Mittelbar macht § 141 ZPO hiervon jedoch eine Ausnahme:
Was verbirgt sich dahinter?
Zum einen kann es tatsächlich darum gehen, dass das Gericht Aussagen der Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts benötigt, z.B. Schilderungen von Geschehensabläufen bei einem Verkehrsunfall, bei häuslicher Gewalt, oder auch zur Beurteilung persönlicher Intensionen, die den Streitsachverhalt betreffen. Entsprechend sieht § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO vor:
Das Gericht soll das persönliche Erscheinen beider Parteien anordnen, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint.
Nicht selten steht dahinter jedoch der sehr viel banalere Wunsch des Richters, sich die Sache einfach zu machen, indem er in der mündlichen Verhandlung so lange auf die Parteien einredet, bis sie sich einigen (vgl. zur Kritik an diesem richterlichen Verhalten auch Reinelt, juris-PraxisReport extra 2007, 194, 196). Ein Vergleich spart dem Richter möglicherweise eine komplizierte Beweisaufnahme, zumindest aber die Mühen eines Urteils, denn er wird sogleich in der mündlichen Verhandlung protokolliert und – wenn kein Widerrufsvorbehalt darin vereinbart wurde – der Richter sieht die Akte hiernach nicht wieder (um die weitere Abwicklung kümmern sich die Gerichtsgeschäftsstelle und der Rechtspfleger).
Das Nichterscheinen trotz persönlicher Anordnung ist sanktionsbewehrt
Nun wäre es wenig effektiv, wenn das Gericht zwar das persönliche Erscheinen von Prozessparteien anordnen könnte, diese aber keinerlei Nachteile oder Sanktionen zu befürchten hätten, wenn sie gleichwohl der Verhandlung fernbleiben. § 141 Abs.3 S.1 ZPO sieht daher vor, dass gegen eine persönlich geladene Partei im Falle des unentschuldigten Nichterscheinens ein Ordnungsgeld verhängt werden kann. Die Sanktionsdrohung des § 141 Abs.3 S.1 ZPO wird also in nicht wenigen Fällen dazu genutzt, nicht um die Sachaufklärung des Streitfalles zu befördern, sondern um dem persönlichen Interesse des Richters an einer Verschlankung seines Arbeitsanfalles zu dienen.
Was kann gegen diese richterliche Strategie unternommen werden?
Bereits in einem Beschluss vom 12.6.2007 (Az. VI ZB 4/07) hat der Bundesgerchtshof darauf hingewiesen, dass das persönliche Erscheinen gestützt auf § 141 ZPO eben auch nur zu denjenigen Zwecken angeordnet werden darf, die das Gesetz vorschreibt. (Dies freilich interessiert Richter nach den Erfahrungen des Autors in aller Regel nicht, wenn der Bundesgerichtshof ihren Verhandlungsstil einzuschränken versucht; sie suchen und finden um solche Vorgaben durchaus Wege herum.)
Zuweilen kann es tatsächlich sinnvoll sein, dass die Prozessparteien persönlich zur mündlichen Verhandlung erscheinen – und hieran auch ein Interesse haben. Wenn es tatsächlich jedoch nichts weiter aufzuklären gibt und an dem Tag andere wichtige Termine anstehen, bietet es sich an, sich der gerichtlichen Ladung zu widersetzen, nicht zu erscheinen und die Ordnungsgeldauflage (die sich zumeist in einer Größenordnung von 200 Euro bewegt) zu riskieren.
Die Chancen stehen nämlich gut, dass das Gericht, selbst wenn die Parteien trotz ordnungsgemäßer persönlicher Ladung nicht zur Verhandlung erscheinen, entweder von der Ordnungsgeldauflage gleichwohl absehen oder diese in der Beschwerdeinstanz sodann aufgehoben wird. Richter echaffieren sich dann zwar regelmäßig, dass sie es als Missachtung ihrer Autoriät ansehen, wenn Parteien trotz persönlicher Ladung nicht erscheinen, besinnen sich dann aber auch wieder auf die Sache selber, sowie darauf, dass ihnen die Anhörung der Parteien im Ergebnis dann wohl gleichwohl in der Sache selber nichts gebracht hätte.
Anwaltliche Strategie beim Ausbleiben der persönlich geladenen Partei
Der bereits oben erwähnte Beschluss des Bundesgerichtsgerichtshofs vom 12.6.2007 eröffnet für den Prozessanwalt auch einen einfachen Weg, dem Ordnungsgeldbeschluss „den Wind aus den Segeln zu nehmen“, wenn nämlich der Prozessanwalt selber alle Fragen beantworten kann, die der Richter sonst noch seiner Partei hätte stellen wollen. In dieser Fall ist nämlich trotz Ausbleibens der Partei ein etwaiger Ordnungsgelsbeschluss rechtswidrig, weil er eben nicht eine „Missachtung des Gerichts“ sanktioniert (vgl. BVerfG, 2 BvR 429/97, Beschluss vom 10.11.1997), sondern lediglich eine Erschwerung der Sachverhaltsaufklärung und dadurch bedingte Verzögerung des Rechtsstreits, soweit nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachfragen in der mündlichen Verhandlung geklärt werden können.
§ 141 Abs.3 S.2 ZPO eröffnet diesen Ausweg ausdrücklich, dass ein „bevollmächtigter Vertreter“ statt der Partei selber Ausführungen zu etwaigen Sachverhaltsfragen des Gerichts tätigt. (Zwar ist Voraussetzung dafür, dass eine besondere Vollmacht zu diesem Zweck besteht, wofür die allgemeine Prozessvollmacht des Rechtsanwalts nicht ausreichen soll; diese braucht jedoch zunächst nur behauptet zu werden und braucht im Termin noch nicht schriftlich nachgewiesen zu sein. Auf ausrückliche Aufforderung des Gerichts hin kann sie noch nachgereicht werden.)
Der Anwalt braucht den Vorsitzenden Richter in der mündlichen Verhandlung nur zu fragen und zu beantragen, dass diese Frage an das Gericht protokolliert wird: „Was hätten Sie die von mir vertretene Partei noch gefragt, wenn sie heute erschienen wäre?“ – Oftmals wird man feststellen (und daran merken, dass es dem Richter mehr um Vergleichsgespräche ging), dass das Gericht eine genaue Frage nicht formulieren kann.
Falls doch, ist es dem Prozessvertreter auch unbenommen, auf die Frage zu antworten, anstelle der geladenen Partei: Auch in diesem Fall wäre der Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses rechtswidrig, weil sich durch das Nichterscheinen der Rechtsstreit nicht verzögert und die Sachaufklärung nicht erschwert hat.
Erscheint die vom Gericht aufgeworfene Frage als zu nebensächlich oder würde sie sich als Ausforschung einer nicht beweisbelasteten Partei darstellen, ist es dem Prozessvertreter auch unbenommen, zu antworten: „Daran kann sich meine Partei nicht mehr erinnern. Ich habe ihr diese Frage auch gestellt und sie hat mir gesagt, dass sie sich daran nicht mehr erinnern könne.“
Wichtig ist dabei, dass der Prozessanwalt das Gericht stets darum bittet bzw. dieses beantragt, dass jede Frage, die das Gericht der nicht erschienen Partei hätte stellen wollen ebenso ins Protokoll aufgenommen wird, wie die Antwort ihres Prozessvertreters hierauf.
Ferner sollte der Prozessvertreter der nicht erschienen Partei das Gericht auch bitten, darzulegen, ob es noch weitere Fragen habe. Ist dies nicht der Fall, sollte beantragt werden, dass das Gericht keine weitere Fragen habe, welches es der nicht erschienen Partei im Falle ihres Erscheinens noch hätte stellen wollen. – Bleibt nämlich kein weiter aufklärungsbedürftiger Sachverhalt über, so der Bundesgerichtshof, ist der Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses auch von daher ermessensfehlerhaft und somit unzulässig.
Formelle Ladungsmängel hindern Ordnungsgeldbeschluss
Soweit die Ladung für das persönliche Erscheinen nur dem Prozessanwalt, nicht aber auch der Partei selber zugestellt wurde, sind im Übrigen die Formvoraussetzungen nicht erfüllt, um ein Ordnungsgeld aufzuerlegen. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht zwar das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet und dieser die Ladung auch zugestellt hat, jedoch nicht den Zweck der persönlichen Ladung darin angegeben hat. Der Ladungszweck „zur Führung von Vergleichsverhandlungen“ ist von vorne herein unzulässig, da sich keine Prozesspartei vergleichen braucht, wenn sie dies nicht möchte. Ladungszweck kann also nur sein „zur Aufklärung des Sachverhalts“; andernfalls braucht die geladene Partei dem nicht zu folgen.
Antrag auf Aufhebung des persönlichen Erscheinens
§ 141 Abs.1 S.2 ZPO sieht darüber hinaus auch Gründe vor, unter denen auf Antrag hin das persönliche Erscheinen wieder aufzuheben ist, ohne diese „wichtigen Gründe“ im Einzelnen zu benennen, abgesehen von der variante der „zu großen Entfernung“. Dies kann ein wichtiger beruflicher kollidierender Termin sein, oder eine Prüfung, Krankheit (soweit sie eine Verhandlungsteilnahme ausschließt) oder auch ein bereits fest gebuchter oder lange schon geplanter Urlaub sein. Das Gesetz spricht von „nicht zuzumuten“ und möchte damit ausdrücken, dass ein Gerichtstermin nicht stets vorrangig ist, sondern immer auch die berechtigten Interessen der Parteien berücksichtigen muss.
Anordnung des persönlichen Erscheinens von Unternehmensvorständen
Reinelt geht im oben zitierten Beitrag auch auf das Problem ein, dass Gerichte oftmals nicht differenzieren, wen sie als Partei zur Aufklärung des Sachverhalts benötigen. Steht auf Beklagtenseite z.B. eine Versicherung, die als Aktiengesellschaft prozessual durch „den Vorstand“ vertreten wird, ist es bereits aus sich heraus ermessensfehlerhaft, wenn das Gericht „den Vorstand“ oder „ein Mitglied des Vorstandes“ lädt, bloß aus dessen Vertreterstellung heraus, ohne zuvor zu ergründen, wer auf Seiten der beklagten Versicherung tatsächlich Sachkunde zu dem Schadensfall hat. Dieses Verhalten deutet auf eine mangelhafte Terminsvorbereitung seitens des Richters hin, ist für die so adressierte Partei höchst ärgerlich und sollte unterbleiben, da es dem Ansehen der JUstiz schadet und zu „Justizverdrossenheit“ führt. Überdies ist es auch rechtswidrig (gleichwohl werden Richter dafür leider nicht persönlich belangt).