Voraussetzungen zur Begründetheit des Zulassungsantrages der Berufung gem. § 124 Abs. 2 VwGO

Der § 124 VwGO regelt die Statthaftigkeit der Berufung und die Zulassungsgründe der Berufung. Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. Der Zulassungsantrag auf Berufung ist begründet, wenn die Voraussetzungen aus § 124 Abs. 2 VwGO erfüllt sind. Die einzelnen Voraussetzungen aller Nummern des Absatzes müssen nicht vorliegen. Sie sind nicht kumulativ. Es reicht, wenn die Voraussetzungen einer Nummer erfüllt sind.

Im folgenden die einzelnen Voraussetzungen zur Begründetheit des Zulassungsantrages:

§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Ernstliche Zweifel

Ein Antrag auf Berufung ist gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen.  Die Frage der Zulassung einer Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist von verschiedenen Ansichten geprägt:

Ursprünglich wurde hauptsächlich auf die Rechtsprechung zu § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO verwiesen, wobei der historische Zweck darauf abzielte, die zunehmenden Rückstände und die steigende Verfahrensdauer bei den Verwaltungsgerichten durch Vereinfachung und Straffung der Verfahren zu bewältigen, ohne den Rechtsschutz und das rechtsstaatliche Verfahren unangemessen zu beeinträchtigen.

Einige Ansichten vertreten die Meinung, dass ernsthafte Zweifel vorliegen müssen, wenn die Gründe, die gegen die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sprechen, deutlich überwiegen und ein Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Andererseits genügt nach anderen Ansichten bereits, dass der Erfolg der Berufung ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.

Es gibt auch den Standpunkt, der sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht, wonach erhebliche Gründe dafür sprechen müssen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer Überprüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird.

Eine herrschende Meinung legt Wert darauf, dass bei der Beantwortung der Frage, ob ernsthafte Zweifel bestehen, auf den Tenor des Urteils abzustellen ist, also darauf, ob die Entscheidung im Ergebnis richtig oder unrichtig ist. Denn letztendlich ist entscheidend, ob im Berufungsverfahren ein anderes Ergebnis zu erwarten ist.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ernsthafte Zweifel im Sinne der einschlägigen Regelungen dann bestehen, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung im Ergebnis fehlerhaft ist und der Erfolg der Berufung mindestens etwa gleich wahrscheinlich ist wie der Misserfolg.

§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten

Ein Antrag auf Berufung ist gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gibt dem Oberverwaltungsgericht die Möglichkeit, Schwierigkeiten, die sich bei der Anwendung dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwO ergeben, auszugleichen. Unter Berücksichtigung der Literatur und Rechtsprechung zu diesen Vorschriften wird davon ausgegangen, dass eine Sache dann keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, wenn sie einen normalen, also durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad hat. Eine Berufungszulassung kommt demnach nur in Betracht, wenn die Streitsache überdurchschnittliche Schwierigkeiten macht. Das bedeutet es müssen Schwierigkeiten vorliegen, die das normale Maß übersteigen. Die Rechtssache muss Probleme aufwerfen, die das Verfahren in seinem Schwierigkeitsgrad von den in der verwaltungsgerichtlichen Praxis regelmäßig zu entscheidenden Streitsachen abheben.

Diese Schwierigkeiten können tatsächlicher oder rechtlicher Art sein. Die Schwierigkeit muss sich in der konkreten Rechtssache ergeben; die schwierigen Fragen müssen entscheidungserheblich sein. Ein Indiz für besondere Schwierigkeiten kann dienen, wenn ein besonders hoher Begründungsaufwand in der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts betrieben werden muss.

§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache

Ein Antrag auf Berufung ist gem. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Es ist erforderlich, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage aufkommt, die grundsätzliche Bedeutung hat. Eine Sache hat rechts-grundsätzliche Bedeutung, wenn zu erwarten ist, dass die Entscheidung im Berufungsverfahren dazu beiträgt, die Rechtseinheit zu wahren oder die Weiterentwicklung des Rechts voranzutreiben. Die Angelegenheit muss eine bislang ungeklärte Frage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt. Dies kann der Fall sein, wenn die Klärung der strittigen Frage im Hinblick auf die mögliche Wiederholung ähnlicher Fälle erwünscht ist.

§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO Divergenz

Ein Antrag auf Berufung ist gem. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist gerechtfertigt, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG), des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GemS) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Regelung dient hauptsächlich dem Allgemeininteresse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Dies ist besonders wichtig, wenn das OVG über die Anwendung von Landesrecht entscheidet. Es betrifft jedoch auch Bundesrecht, über das letztlich das BVerwG urteilt. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, umfassen die Gründe für die Zulassung der Berufung die Gründe für die Zulassung der Revision.

Da es sich um die Zulassung der Berufung handelt, genügt bereits die Abweichung von einer Entscheidung des OVG dem übergeordneten Berufungsgericht. Es ist nicht notwendig, dass diese Entscheidung ein Urteil ist oder rechtskräftig sein muss. Jedoch ist  die Divergenz einer Entscheidung nur möglich, wenn die Entscheidung die Instanz in der Sache abschließt. Daher reicht die Abweichung von einem Beschluss des BVerwG oder des OVG, der die Revision oder die Berufung zugelassen hat, nicht aus, da damit noch keine Rechtsfrage entschieden wurde.

§ 124 Abs. 2 Nr.5 VwGO Verfahrensmängel

Ein Antrag auf Berufung ist gem. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO erfolgt, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und dieser Mangel vorhanden ist, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel muss der Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) unterliegen, um sicherzustellen, dass die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter oder die unterlassene Rückübertragung keine Zulassung der Berufung rechtfertigt.

Ein Verfahrensmangel bezieht sich auf einen Verstoß gegen eine Vorschrift, die das verwaltungsgerichtliche Verfahren regelt, jedoch nicht auf das Verwaltungsverfahren oder das Widerspruchsverfahren. Er betrifft Fehler im prozessualen Vorgehen des Verwaltungsgerichts (VG) und nicht die inhaltliche Richtigkeit des Urteils. Fehler im Urteil selbst können Verfahrensmängel sein, dürfen jedoch keine materiellen Fehler sein, wie beispielsweise die Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung.

Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Verfahrensmängeln ist für das Berufungsverfahren relevant, da sie beeinflusst, ob die Entscheidung auf dem Fehler beruhen kann. Trotzdem müssen beide Arten von Verfahrensmängeln gerügt werden. Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts oder bei der Beweiswürdigung sind jedoch keine Verfahrensmängel, sondern Verstöße gegen materielles Recht.

Die Berufung kann nicht zugelassen werden, wenn eine Vorentscheidung angegriffen wird, die selbstständig anfechtbar ist oder für die ein Rechtsmittel ausgeschlossen ist. Der Verfahrensmangel muss ausdrücklich geltend gemacht werden und tatsächlich vorliegen. Er muss auch erheblich sein, sodass die Möglichkeit besteht, dass er das Urteil beeinflusst hat. In einigen Fällen kann eine Tatsachenermittlung des OVG im Zulassungsverfahren erforderlich sein, um dies zu klären.

Schneider, Jens-Peter; Schoch, Friedrich: Schoch/Schneider/Rudisile Verwaltungsrecht VwGO – Kommentar, Band I, 44 El, März 2023

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