Was ist eine „medizinisch notwendige Heilbehandlung“?
Definition des Bundesgerichtshofs
Laut dem Bundesgerichtshof (IV ZR 278/01, Urteil vom 12.3.2003) gilt eine Behandlung als medizinisch notwendig, wenn „zum Zeitpunkt der Behandlung aufgrund objektiver medizinischer Befunde und Erkenntnisse vertretbar gewesen ist, die Behandlung als notwendig zu betrachten.“
Erklärung der Definition
Damit eine Behandlungsmethode als medizinisch notwendige Heilbehandlung eingestuft wird, muss sie zunächst grundsätzlich dazu geeignet sein, die Erkrankung zu heilen oder zumindest das Leiden zu lindern. Es kommt dabei aber nicht darauf an, dass der mögliche Erfolg der Behandlung auch tatsächlich eintritt, sondern nur darauf, dass dieser theoretisch mit der angewandten Behandlung erreicht werden kann. Ein Maßstab für diese Geeignetheit muss objektiv gesetzt werden. Orientiert wird sich dabei beispielsweise an der allgemeinen Anerkennung der Methode in der Ärzteschaft. Falls keine Einigkeit darüber gefunden werden kann, ob es sich bei der Behandlung um eine medizinisch notwendige handelt, ist es ggf. notwendig, einen unabhängigen Sachverständigen hinzuzuziehen, welcher die Lage objektiv beurteilt. Ein Grundsatz, dass immer die günstigste aller möglichen Behandlungen gewählt werden muss, geht im Übrigen nicht aus der Definition des Bundesgerichtshofs hervor.
Was ist mit neuartigen / ungewöhnlichen Behandlungsmethoden?
Grundsätzlich können auch neuartige oder eher ungewöhnliche Behandlungsmethoden als medizinisch notwendige Heilbehandlungen gelten. Medizinisch vertretbar müssen diese Behandlungen aber in jedem Fall sein. Besteht die Wahl zwischen einer etablierten Behandlung und einer neuen/ungewöhnlichen Behandlung, sollte die neue/ungewöhnliche Behandlung aber dennoch konkrete Vorteile für den jeweiligen Einzelfall bieten, um die Wahl dieser zu rechtfertigen. Handelt es sich um eine eigentlich unheilbare Krankheit, dann muss für die Behandlung eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit bestehen. Beachten Sie, dass die Krankenkasse neuartige Methoden durchaus mit der Begründung, dass es noch keine Langzeiterfahrungen zu dieser Methode gibt, ablehnen kann.
Was passiert bei einer Übermaßbehandlung?
Bei einer Übermaßbehandlung wird die Versicherungsleistung nicht vollständig ausgeschlossen, sondern lediglich auf das Maß der medizinisch notwendigen Heilbehandlung reduziert.
Welche Pflichten hat der Versicherer?
Sind Sie sich unsicher, welche Behandlungen von ihrer Krankenkasse übernommen werden, können Sie einen Antrag auf Auskunft bei Ihrer Krankenkasse darüber stellen. Die Auskunftspflicht der Krankenkassen über solche Fragen besteht heute weitreichend. Eine Antwort auf Ihre Frage sollten Sie anschließen unverzüglich von Ihrer Versicherung bekommen. Beachten Sie, dass darunter auch ein gewisser Zeitraum für eine Prüfung der Sachlage seitens der Versicherung fällt. Antwortet die Versicherung dennoch nicht fristgerecht oder wird Ihr Antrag ohne Angabe von Gründen abgelehnt, wird die medizinische Notwendigkeit der Behandlung vermutet und muss somit von der Versicherung abgedeckt werden. Falls die Versicherung Ihnen antwortet und Ihnen die Übernahme der Kosten zusichert oder Sie bereits mit der Behandlung begonnen haben und die Versicherung bereits Kosten abgedeckt hat, so kann sie sich bezüglich dieser Behandlung nicht mehr ohne weiteres auf eine nicht vorhandene medizinische Notwendigkeit berufen.
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer?
Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung. Das heißt, Sie müssen belegen und Beweise dafür erbringen, dass die Behandlung objektiv als medizinisch notwendig gilt.
Welche Pflichten hat der Arzt?
Wenn der behandelnde Arzt von vornherein weiß, dass die Behandlung allgemein als nicht medizinisch notwendig angesehen wird oder an der medizinischen Notwendigkeit zweifelt, so muss er seinen Patienten über seine Kenntnisse aufklären. Wenn er dies nicht tut, hat der Patient ggf. einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt wegen Verletzung einer wirtschaftlichen Informationspflicht.
Was tun, wenn die Krankenkasse eine Leistung nicht übernehmen will?
Es passiert immer wieder, dass die Krankenkasse bestimmte Behandlungen nicht bezahlen will obwohl Arzt und Patient der Meinung sind, dass diese medizinisch notwendig sind. In solch einem Fall sollten Sie sich zunächst an den Ombudsmann wenden. Dieser ist eine Anlaufstelle für Versicherte, um zwischen der Versicherung und den Versicherten zu vermitteln. Er kann beispielsweise seine Meinung über die medizinische Notwendigkeit der Behandlung kundtun und somit einen Kompromissvorschlag machen. Häufig ist die Meinung des Ombudsmanns aber noch eine andere als die der Versicherung, des Arztes und des Patienten.
Ein Beitrag von Jule Bramkamp.
Erstellt am 09.09.2022
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Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht