Wie schnell muss ein Rechtsanwalt auf eine Mandatsanfrage reagieren?

Gemäß § 11 BORA ist der Rechtsanwalt verpflichtet, das Mandat in angemessener Zeit zu bearbeiten und den Mandanten über alle für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgänge und Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten. Aber was ist unter „unverzüglich“ in diesem Kontext zu verstehen?

Definition

In § 121 BGB befindet sich eine Legaldefinition, nach dieser bedeutet das Wort „unverzüglich“, ohne schuldhaftes Zögern. Die Handlung muss also nicht sofort ausgeführt werden, aber nach einer den Umständen des Einzelfalls angemessenen Prüfungs- und Überlegungsfrist.

Fraglich bleibt hier, ob sich eine solche Floskel in Tagen oder Wochen beschreiben lässt?

I. Normenkommentierungen

Auch in anderen Normen und Verordnungen nutzt der Gesetzgeber als Zeitangabe „unverzüglich“:

1. MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl. 2021, BGB § 174 Rn. 26, 27

„Die Zurückweisung muss „unverzüglich“, also „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1), erfolgen. Dabei ist zwischen der Zurückweisung gegenüber Anwesenden oder Abwesenden zu differenzieren. Zudem hat der Geschäftsgegner eine angemessene Überlegungsfrist. Daher ist für die „Unverzüglichkeit“ auf die tatsächliche Kenntnis des Empfängers des einseitigen Rechtsgeschäfts abzustellen. Insgesamt bedarf es einer zügigen Erledigung, was das Einholen von Rechtsrat nicht ausschließt. Bei Unternehmen oder Behörden ist der Zeitraum zugrunde zu legen, der für eine zügige und ordnungsgemäße Bearbeitung zugebilligt werden muss. Auf Arbeitsüberlastung kann sich der Geschäftsgegner nicht berufen. Sofern der Vertreter versprochen hat, die Vollmachtsurkunde nachzureichen, darf der Geschäftsgegner die vom Vertreter genannte Frist oder eine angemessene Frist verstreichen lassen, bevor er das Rechtsgeschäft zurückweist. Die Zurückweisung kann auch „bedingt“ erklärt werden, wenn das Herbeiführen der Bedingung allein vom Vertretenen bzw. dessen Vertreter abhängt (zB Nachreichen der Urkunde, Bestätigung durch den Vertretenen). Es genügt indes nicht, wenn der Geschäftsgegner nur eine Frist setzt und sich die Zurückweisung vorbehält. § 174 S. 1 führt zu einem Schwebezustand, der nicht schuldhaft verlängert werden darf. Der Empfänger muss stets „unverzüglich“ zurückweisen, selbst wenn er dem Vertreter oder Vertretenen eine Frist setzt.

Nicht mehr „unverzüglich“ ist eine Zurückweisung nach mehr als einer Woche, wenn keine besonderen Umstände vorliegen. Auch drei Tage sind im Einzelfall bereits als verzögert angesehen worden.  Bei vorhersehbaren Verzögerungen beim Zugang der Zurückweisung (zB Poststreik, Serverwartung) muss der Geschäftsgegner den Zugang auf einem anderen Weg bewirken. Sofern der Geschäftsgegner urlaubsabwesend ist, wird es darauf ankommen, ob er vorhersehen konnte und musste, dass ein einseitiges Rechtsgeschäft erfolgen und ein Zurückweisungsrecht bestehen wird.“

2. Staudinger/Singer (2021) BGB § 121 Rn. 8, 9

„Während die zehnjährige Frist gem Abs 2 genau bestimmt ist, handelt es sich bei dem Erfordernis unverzüglicher Anfechtung gem Abs 1 um eine „elastische“ Frist (Larenz, AT § 20 II c = S 385). „Unverzüglich“ bedeutet nach der Erläuterung des § 121 Abs 1 S 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“. Die Legaldefinition gilt für das gesamte Privatrecht (§§ 377 Abs 1, Abs 3 HGB, 92 Abs 1 AktG, 10 Abs 2 MuSchG, 30 Abs 1 S 1 VVG) und öffentliche Recht (zB §§ 216 Abs 2 ZPO, 68 b Abs 1 S 1 Nr 8 StGB, 25 Abs 2 Nr 2, 128 Abs 1 StPO, 23 Abs 2 S 1 u 3 VwVfG; § 5 Abs 4 AnlEntG [dazu BGH 20.9.2011 – XI ZR 435/10, juris Rn 54]), stellt aber je nach Kontext unterschiedliche Anforderungen an die Reaktionszeit des Verpflichteten. So ist bei der Mängelanzeige des § 377 Abs 2 HGB im Zweifel größere Eile geboten als bei der Anfechtungsobliegenheit des § 121 BGB (RGZ 64, 159, 162; BGH WM 1962, 511, 513). Auf den Maßstab des § 121 Abs 1 S 1 BGB wird im Übrigen auch verwiesen, wenn der Begriff „unverzüglich“ in einem Rechtsgeschäft (RGZ 75, 354, 357: Fristsetzung gem § 542 Abs 1 S 2 aF; jetzt § 543 Abs 3 S 1), in AGB (vgl zB § 2 Nr 8 Abs 2 VOB/B; dazu BGH NJW-RR 1994, 1108, 1109; s ferner OLG Bamberg NJW 1993, 2813, 2814: Verlustanzeige für Kreditkarte) oder in einem Tarifvertrag (LAG Köln DB 1983, 1771 f: Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit gem § 47 Abs 6 BAT) verwendet wird.

Da nur „schuldhaftes Zögern“ schadet, bedeutet „unverzüglich“ nicht etwa sofort (RGZ 124, 115, 118; BGH WM 1962, 511, 513; Soergel/Hefermehl Rn 7). Vielmehr hat der Anfechtungsberechtigte die Erklärung so rechtzeitig abzugeben, wie ihm dies unter den gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils an alsbaldiger Aufklärung möglich und zumutbar ist (BGH NJW-RR 1994, 1108, 1109; Larenz, AT § 20 II c = S 385). Danach steht dem Berechtigten eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist zu, um sich über Bedeutung und Folgen der Anfechtung klar zu werden (BGH NJW 2008, 985, 986 Rn 18; 2012, 3305, 3306 Rn 20). Soweit erforderlich, darf er – in der gebotenen Eile (BAG NJW 1991, 2723, 2725) – Rechtsrat einholen (RG HRR 1931 Nr 584; RGZ 156, 334, 336). Selbst wenn Rechtsrat eingeholt werden muss, darf mit der Anfechtung höchstens bis zu zwei Wochen gewartet werden, wenn sonst keine besonderen Umstände vorliegen (OLG Hamm NJW 2019, 3387, 3389 Rn 86; OLG Schleswig BeckRS 2018, 48260 Rn 18; OLG Oldenburg NJW 2004, 168 f; LG Ulm BeckRS 2017, 112449 Rn 17 [12 oder 13 Tage]; MünchKomm/Armbrüster Rn 7; BeckOK/Wendtland Rn 7.1). Als verspätet wurden Erklärungen angesehen, die nach einem Monat (KG NJOZ 2001, 1121, 1123) oder gar nach mehreren Monaten (BGH NJW-RR 1994, 1108, 1109; BAG BB 1981, 1156, 1157; OLG Braunschweig VersR 1967, 73, 74) erfolgten. Bei der Anfechtung von Arbeitsverträgen wegen Eigenschaftsirrtums orientiert sich das BAG an der Zweiwochenfrist des § 626 Abs 2 S 1 BGB (BAG NJW 1980, 1302, 1303; Wolf/Gangel AuR 1992, 271, 274 f; Larenz/Wolf § 36 Rn 100; Palandt/Ellenberger Rn 3; krit Picker ZfA 1981, 15 ff und 111 ff; ders SAE 1981, 86, 87; Soergel/Hefermehl Rn 7), doch handelt es sich hier um eine Obergrenze, die selbst bei der gebotenen Einholung von Rechtsrat nicht zwangsläufig ausgeschöpft werden darf (BAG NJW 1991, 2723, 2726; vgl auch BAG NJW 1981, 1332, 1335: 9 Tage für Kündigung eines Schwerbehinderten gem § 18 Abs 6 SchwBG aF = § 174 Abs 5 SGB IX nicht mehr „unverzüglich“). Nach dem hier vertretenen Standpunkt (vgl § 119 Rn 86; § 123 Rn 92) geht bei einem Irrtum über Eigenschaften des Arbeitnehmers das vertragsnahe Leistungsstörungsrecht vor, sodass § 626 Abs 2 S 1 BGB nur gilt, falls wegen der Leistungsstörung außerordentlich gekündigt würde. Für die ordentliche Kündigung gilt § 626 Abs 2 BGB nicht (vgl Staudinger/Preis [2019] § 626 Rn 285, 288). Davon abgesehen sollte bei der Konkretisierung des § 121 Abs 1 S 1 BGB nicht allein der Zeitraum entscheiden, der zwischen Kenntniserlangung und Abgabe der Anfechtungserklärung verstreicht (BGH WM 1962, 511, 513). Es gibt keine Regel des Inhalts, dass „am Tage nach Erlangung der Kenntnis“ angefochten werden müsse (Staudinger/Dilcher12 Rn 4; zu eng daher RGZ 64, 159, 163). Unter besonderen Umständen kann es gerechtfertigt sein, dass der Anfechtungsberechtigte die Erlangung eines Arrestbefehls gegen den Anfechtungsgegner abwartet und sogar erst nach einem Monat die Anfechtung erklärt, wenn er bei früherem Vorgehen befürchten muss, dass der Gegner Waren ins Ausland schafft und dadurch die mit der Anfechtung bezweckte Restitution des früheren Zustandes vereitelt (RGZ 124, 115, 118 f). Es ist ferner nicht zu beanstanden, wenn der Anfechtungsberechtigte zunächst eine vergleichsweise Erledigung der durch den Irrtum aufgeworfenen Differenzen anstrebt und erst wenige Tage nach der Ablehnung seines Vergleichsvorschlages die Anfechtung erklärt (BGH WM 1962, 511, 513) oder wenn er eine notwendige Aufklärung des Sachverhaltes abwartet (RGZ 64, 159, 163; 156, 334, 337), die freilich ihrerseits mit der gebotenen Eile durchgeführt werden muss (BAG NJW 1980, 1302, 1303). Sofern bei Geschäftsunfähigkeit des Erklärungsgegners für diesen ein Pfleger bestellt werden muss (§§ 131 Abs 1, 1629 Abs 2, 1795 Abs 2 BGB), ist der erforderliche Antrag ebenfalls unverzüglich zu stellen (RGZ 156, 334, 336 f). Falls ein Vertreter anfechtungsberechtigt ist und er Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt hat, darf dieser erst noch mit dem Vollmachtgeber Kontakt aufnehmen, bevor er die Anfechtung erklärt (RG SeuffA 84 Nr 1). Ein Rechtsirrtum über die Anfechtungsbedürftigkeit (oben Rn 7 aE) ist nicht immer verschuldet, sondern kann unter bestimmten Voraussetzungen (vgl § 119 Rn 74 ff) den Vorwurf „schuldhaften“ Zögerns ausräumen (vgl auch RGZ 152, 228, 232: unter „strengen“ Voraussetzungen; ebenso Staudinger/Dilcher12 Rn 5; MünchKomm/Armbrüster Rn 8). Entschuldigt ist der Rechtsirrtum insbesondere, wenn er primär vom Gegner zu verantworten ist (§ 119 Rn 74), was im vorliegenden Zusammenhang noch am ehesten denkbar ist, wenn dieser den Rechtsirrtum veranlasst hat. Ansonsten genügt es, dass der Anfechtungsberechtigte seine irrige Rechtsansicht aufgrund sorgfältiger Prüfung der Rechtslage gebildet hat (Palandt/Ellenberger Rn 3). Ist ein Antragsteller im Verfahren über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren nicht anwaltlich vertreten, kann ein großzügiger Maßstab angelegt werden. Zu weit dürfte es jedoch gehen, eine Verzögerungsrüge auch noch Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes als „unverzüglich“ anzusehen (so aber OLG Celle NJW-RR 2014, 889 f; mit Recht strenger LSG Erfurt, 10.7.2013 – L 12 SF 916/12 EK; bei anwaltlicher Vertretung OLG Bremen NJW 2013, 2209, 2210; 2013, 3109, 3110). Bei Vertretung durch einen Anwalt ist dessen Verschulden dem Berechtigten zuzurechnen (LAG Düsseldorf DB 1964, 1032; Staudinger/Dilcher12 Rn 5; zur Wissenszurechnung oben Rn 4). Auch Verzögerungen, die durch die Überlastung der zuständigen Behörde oder Mängel der kaufmännischen Organisation verursacht sind, exkulpieren nicht (RAG HRR 1929 Nr 508; MünchKomm/Armbrüster Rn 9). Geht es dagegen um die Rechtsfrage, ob ein Irrtum besteht, schadet gem § 121 Abs 1 S 1 BGB nur positive Kenntnis (abw Soergel/Hefermehl Rn 8; MünchKomm/Armbrüster Rn 8, die Verschulden prüfen und im Regelfall bejahen). Ein diesbezüglicher Rechtsirrtum ist daher grundsätzlich beachtlich, sofern er nicht auf gänzlich unvertretbaren Erwägungen beruht und nach dem Rechtsgedanken von § 162 Abs 1 BGB außer Betracht bleiben muss (oben Rn 5).“

3. MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 271 Rn. 7

„Unverzüglich bedeutet wie in § 216 Abs. 2 – und anders als in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB – ohne prozesswidriges Verzögern, s. a. → § 216 Rn. 6. Unerhebliche Verzögerungen, also solche von wenigen Tagen, bleiben deshalb außer Betracht. Die Anordnung von Maßnahmen, die zur Terminsvorbereitung zweckmäßig oder erforderlich sind (§ 273), rechtfertigen eine Verzögerung bei der Klagezustellung nicht. Eine Bevorzugung „glatter“ Fälle ist unzulässig.“

II. Übertragbarkeit auf § 11 BORA

Daraus kann man auch auf § 11 BORA schließen.

1. BeckOK BORA/Günther, 40. Ed. 1.6.2023, BORA § 11 Rn. 11

„Die Benachrichtigung muss „unverzüglich“ erfolgen: „Unverzüglich“ bedeutet iSd § 121 Abs. 1 S. 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“, das heißt nach Ablauf einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist (BGH NJW-RR 2016, 1146). Starre Fristen werden hier nicht genannt, iW hängt dies von der Abwägung der Interessen der Parteien ab (vgl. zum Anfechtungsrecht: MüKoBGB/Armbrüster § 121 Rn. 7). Dabei sind auch Umstände wie die fehlende Eilbedürftigkeit und die Tatsache eines zweitägigen stationären Krankenhausaufenthalts des Anwalts zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 2016, 1146). Die Art und Weise der Unterrichtung steht dem Rechtsanwalt frei. Üblicherweise werden dem Mandanten Kopien der relevanten Schriftstücke per E-Mail oder Post übermittelt und kurze Informationen per E-Mail oder Telefon kommuniziert. Bei der E-Mail-Kommunikation ist § 2 Abs. 2 zu beachten.“

2. Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 43 BRAO/§ 11 BORA Rn. 18

„Absatz 1 Satz 1 2. Satzteil verlangt die „unverzügliche“ Information, also eine solche „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB).

Die damit verbundene rechtliche Vorgabe ist theoretisch klar, praktisch wird gegen sie vielfach verstoßen, in der Regel aufgrund von Organisationsmängeln (s. dazu § 5 BORA) in der Kanzlei. Es gibt keinen einsehbaren Hinderungsgrund, der es grundsätzlich ausschlösse, den Informationsvorgang tagesgleich vorzunehmen. Insbesondere die rechtsmittel- oder rechtsbehelfsfähigen Entscheidungen oder gerichtlich vorgegebene Äußerungs- oder Stellungnahmefristen führen, wenn der Anwalt § 121 Abs. 1 S. 1 BGB großzügig handhabt, zu einer Fristverkürzung, die ihre Ursache in der Kanzlei des informationspflichtigen Anwalts hat. Darin liegt auf jeden Fall ein rechtfertigungsbedürftiger Mangel (vgl. auch Rz. 2) Diese Feststellung verbietet keineswegs gängige Ausnahmen, wie nicht vertreterbedürftige Abwesenheit des sachbearbeitenden Anwalts oder die Überlastung des Schreibtischs. Sie mahnt aber die Verantwortung des Anwalts für die Erfüllung seiner Informationspflichten nachdrücklich an. Das gilt vermehrt dann, wenn „Anwaltsketten“ bei der Information überwunden werden müssen, wie bei der Einschaltung von Anwälten an Rechtsmittelgerichten. Muss dann – etwa wegen eines außerordentlichen Rechtsbehelfs – noch ein dritter Anwalt eingeschaltet werden, ist das Zeitkontingent des Mandanten oft fast vollständig erschöpft, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen werden kann.“

3. Weyland/Nöker, 10. Aufl. 2020, BORA § 11 Rn. 5-8

„Die Unterrichtung hat unaufgefordert und unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB), zu erfolgen. […] Damit der Rechtsanwalt seine Pflicht nach § 11 Abs. 2 erfüllen kann, muss er seine Kanzlei so organisieren, dass der Mandant den Rechtsanwalt in zumutbarer Zeit erreichen kann.“

4. Henssler/Prütting, BORA § 11 Rn. 4-7

„Der Rechtsanwalt muss aufgrund der Regelung in Bezug auf die Bearbeitung der Sache Kontakt zum Mandaten halten. Mandant kann dabei auch ein Betreuter oder ein Erbe sein, wenn der Rechtsanwalt Betreuer bzw. Testamentsvollstrecker ist?
Ebenso kann die Verpflichtung gegenüber der Rechtsschutzversicherung des Mandanten bestehen, zumindest wenn der Mandant die Rechte aus dem Versicherungsvertrag auf den Rechtsanwalt übertragen hat und dieser unabhängig vom Mandanten mit der Versicherung die Gebührenabrechnung abwickelt. Die Intensität und Häufigkeit der Unterrichtung richtet sich nach der konkreten Entwicklung der Sache, und der Rechtsanwalt hat nach pflichtgemäßen Ermessen zu prüfen, ob ein Vorgang wesentlich ist. Was „wesentliche Vorgänge“ sind, muss ebenfalls mit Bezug auf die konkrete Sache bestimmt werden. Allgemein sind darunter alle Ereignisse zu verstehen, deren Kenntnis zur Bewertung der Erfolgsaussichten für die Durchsetzung oder Verteidigung einer Rechtsposition notwendig sind. Unabhängig von der jeweiligen Sache dürften jedoch darunter fallen: Klageerhebung,
Klageerwiderung und Vergleichsvorschlag. Die Benachrichtigung muss unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) erfolgen. Die Pflicht zur Information entsteht, sobald der Rechtsanwalt von einem wesentlichen Vorgang Kenntnis erlangt hat. Aufgrund von § 5 muss der Rechtsanwalt seine Kanzlei so organisieren, dass ein ungehinderter Informationsfluss zwischen Rechtsanwalt und Mandant gesichert ist und dass der Rechtsanwalt seiner Informationspflicht gem. § 11 Abs. 1 S. 1 genügen kann. Der Rechtsanwalt hat ohne Aufforderung durch den Mandanten über die wesentlichen Vorgänge zu informieren. Das folgt nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus Sinn und Zweck der Norm.
Denn der Mandant kann nicht erkennen, ob der Rechtsanwalt von einem wesentlichen Vorgang Kenntnis erlangt hat, um ihn dann zur Information aufzufordern. Ebenfalls aus dem Normzweck folgt, dass der Rechtsanwalt den Mandanten im Vorfeld über einen wichtigen Verfahrensschritt unterrichten muss, damit der Mandant ggf. eine anders lautende Weisung erteilen kann.
Unterrichtung bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Mandant eine Abschrift eines Dokumentes erhalten muss, das einen wesentlichen Vorgang iSd § 11 Abs. 1 S. 1 darstellt. Es genügt, wenn der Mandant in die Lage versetzt wird, die für den Fortgang der Sache wesentlichen Bewertungen anstellen und Entscheidungen treffen zu können. Dazu kann es ausreichen, dass der Mandant lediglich telefonisch informiert wird. Dies folgt auch aus dem Umkehrschluss zu § 12 Abs. 2 S. 2, 2. HS, weil mit der dortigen Regelung deutlich wird, dass der Satzungsgeber zwischen „Unterrichtung“ und „Übersendung einer Abschrift zu differenzieren wusste. moinounadnagematron
Der Rechtsanwalt hat alleine zu beurteilen, was wesentlich ist. Zwar ist das Merkmal der Wesentlichkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff, doch ihm steht bei der Prüfung nach pflichtgemäßen Ermessen kein Beurteilungsspielraum zu. Der Rechtsanwalt darf sich bei der Einschatzung, welches Schriftstück wesentlich ist, nicht allein von seiner Beurteilung der Sachlage leiten lassen.
Aufgrund des Normzwecks muss er sich vielmehr in die Position des Mandanten versetzen, was dieser als wesentlich ansehen würde. Leitlinie ist, dass der Mandant immer über den Verfahrensstand und die Chancen zur Durchsetzung seiner Interessen informiert sein muss.“

5. Kleine-Cosack, BORA § 11 Rn. 1-3

„(2) Anfragen des Mandanten sind unverzüglich zu beantworten.
1. Diese Bestimmung ist durch die Satzungsversammlung am 7. 11.2014 neu gefasst worden (vgl. § 2 Rn. 1). Sie bewegt sich an der Grenze der Unzulässigkeit der Mandatskontrolle durch Kammern und Berufsgerichtsbarkeit. Sie ist überflüssig, da § 43 BRAO in Extremfällen ausreicht und vor allem das Zivilrecht dem Mandanten ausreichenden Rechtsschutz gewährt. Wenn Letzterer sich an die Kammer wendet, ist zudem das Vertrauensverhältnis in laufenden Mandaten ohnehin beendet.
2. Die Bestimmung erfasst nur das Zeitmoment. Ihre Heranziehung ist nicht zulässig, um den Inhalt oder die Qualität der anwaltlichen Mandatsbearbeitung zum Gegenstand berufsrechtlicher Pflichten und damit Aufsicht werden zu lassen.
Die Vorschrift kann nur Geltung beanspruchen bei angenommenen Mandaten; erforderlich ist der Abschluss eines Mandatsvertrags. Ein nicht angenommenes Mandat ist kein Mandat, sondern ein Fall des § 44 BRAO.
3. Die – neue – Pflicht zur angemessenen Bearbeitung ist einerseits eine Selbstverständlichkeit; sie ergibt sich schon aus dem Zivilrecht. Die Unbestimmtheit des Kriteriums der Angemessenheit ist offensichtlich. Ihre Verletzung konnte schon bisher nach § 43 geahndet werden. Die Pflicht ist zudem nur formeller Art.
Der RA muss nur irgendwie die Akte „bearbeiten“; das kann noch so inkompetent und unsinnig sein. Eine Qualitäts- oder Inhaltskontrolle steht der Kammer nicht zu, sodass es sich letztlich nur um eine Pflicht zum Aktionismus handelt.
4. Die Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung des Mandanten und Beantwortung von Mandantenanfragen ist aus den gleichen Gründen wie die neue Bearbeitungspflicht nicht erforderlich. Sie ist ebenfalls ohnehin nur formeller Art. Wer alle Anfragen des Mandanten unverzüglich – wenn auch noch so falsch oder inkompetent – beantwortet, gleichwohl aber untätig bleibt, begeht keine Berufs-pflichtverletzung. Das gilt auch dann, wenn der RA zwar den Mandanten unverzüglich darüber unterrichtet, was er zu tun gedenkt, diese Ankündigung aber nicht realisiert, da die bloße Untätigkeit keine Berufspflichtverletzung darstellt, hier kann dann aber die Bearbeitungspflicht greifen. Mit der Formulierung „in angemessener Zeit“ wird sichergestellt, dass Besonderheiten der anwaltlichen Tätigkeit Rechnung getragen wird und Untätigkeit im Interesse des Mandanten nicht sanktioniert werden kann. Die Berufsordnung darf keinen Aktionismus zulasten des Mandanten fordern. Stehen zivilrechtliche Ansprüche oder Strafverfolgungsmöglichkeiten gegen den Mandanten kurz vor der Verjährung, kann die Berufsordnung den RA nicht zu einer Tätigkeit verpflichten, die möglicherweise die Gegenseite zu verjährungsunterbrechenden Maßnahmen veranlassen könnte. Untätigkeit des RAs, die im Interesse des Mandanten liegt, soll und darf nicht berufsrechtlich sanktioniert werden.
Eine im Interesse des Mandanten liegende Untätigkeit des Rechtsanwalts ist natürlich keine schuldhafte Verzögerung.“

6. Rechtsprechung

Entnehmen kann man diese Ansicht auch der Rechtsprechung:

BGH, Urteil vom 18. Juli 2016 – AnwZ (Brfg) 22/15 –, juris

„b) Dem Kläger ist jedoch nicht vorzuwerfen, die Anfrage seiner Mandantin vom 8. April 2013 nicht unverzüglich im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA beantwortet zu haben.

Die Anfrage eines Mandanten wird unverzüglich beantwortet, wenn die Antwort ohne schuldhaftes Zögern erfolgt (§ 11 Abs. 2 BORA in Verbindung mit § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), d.h. nach Ablauf einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist (Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 43 BRAO/§ 11 BORA Rn. 18, 34; Schwärzer in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 11 BORA Rn. 5, 8; vgl. zu § 121 BGB: BGH, Beschluss vom 15. März 2005 – VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869; Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., § 121 Rn. 3).“

III. Abgrenzung zu anderen Organen und Berufsgruppen

An dieser Stelle sei ein Blick auf andere Organe des Rechtsstaats und beteiligte Berufsgruppen gestattet:

1. Verwaltung

Die Verwaltung hat gemäß § 75 VwGO 3 Monate Zeit über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts sachlich zu entscheiden, es sei denn eine Ausnahme erfordert eine kürzere Frist. Gibt es einen zureichenden Grund, dass über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus.

2. Richter

Richter wiederum sind laut Grundgesetz unabhängig, nicht weisungsgebunden und allein dem Gesetz unterworfen. § 198 Abs. 1 GVG ist jedoch der Versuch die Arbeit des Gerichts zu beschleunigen: „Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.“

3. Beamte der Staatsanwaltschaft

Besteht, mit Kenntnis der Staatsanwaltschaft, ein strafrechtlich relevanter Verdacht gegen eine Person, wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Erhärtet sich der zu Beginn bestehende Anfangsverdacht zu einem hinreichenden Tatverdacht, wird Klage erhoben, andernfalls das Verfahren eingestellt. Die Dauer eines solchen Ermittlungsverfahrens ist jedoch nicht direkt gesetzlich geregelt. Strafverfahren unterliegen lediglich dem Beschleunigungsgrundsatz, nach dem Gerichtsverfahren so schnell wie möglich durchzuführen sind.

4. Rechtsschutzversicherungen

Die Rechtsschutzversicherung hat, nachdem der Anwalt Kontakt zu der Rechtsschutzversicherung aufgenommen hat, maximal zwei bis drei Wochen Zeit, diese Anfrage zu beantworten (LG Stuttgart, Urt. v. 22.04.2010, Az.: 16 O 45/10).

IV. Fazit

„Unverzüglich“ gem. § 11 BORA steht letztlich also nicht explizit für eine beliebige Anzahl von Wochen oder Tagen. Es bedeutet so schnell wie möglich wobei es jedoch immer auf den Einzelfall ankomt.

Rechtsanwalt Dr. Martin Riemer

Fachanwalt für Medizinrecht & Versicherungsrecht

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Mia Horbert

stud.jur.